Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1925, Page 4
bekráftigen einander, und die eine zeigt die Tragweite des Zeugnisses der
andern. Snorris Zeugnis gilt fiir alle Germanen und bereits fiir die Zeit uni
Christi Geburt, wahrscheinlich fiir eine bedeutend friihere, denn die Himmels-
beherrscher Wodan, Zeus, Jupiter und Dyauspitar sind urverwandt. Auch die
Nennung Odins als des namenlosen, allmáchtigen Asen, ein deutlicher Aus-
druck der tiefen Scheu gerade vor dieser geheimnisvollen Gottheit, ist weit
álter als ihr Gewáhrsmann. Denn der grofie Gott, von dessen Hain und Kult
bei'den Semnonen Tacitus weiB, ist, wie schon ZeuB richtig sah, Wodan,
und er heiBt regnator omnium deus, der allwaltende Ase, was die Wiedergabe
seiner Benennung durch den germanischen Berichterstatter ist. Der jetzt
wiederhergestellte Name der norwegischen Hauptstadt, Oslo, welcher „Hain
dcs Asen“ bedeutet, zeugt von einem Odinsheiligtum áhnlicher Art wie
das der Semnonen. Aus Kultstátten sind oft Handelsplátze geworden.
Oslo war sicher schon ein Markt, lange bevor Haraldr harðráði es als Kauf-
stadt begriindete, ebenso wie hund in Schonen („Heiliger Hain") ein Markt
gewesen ist, lange bevor Knut der GroBe es zur Stadt machte und eine
Kirche dort baute. Es ergibt falsche Bilder, laienhaft kurze Perspektiven,
wenn man die vormittelalterlichen Stadien ignoriert, wozu heutzutage einer
den anderen ermutigt, nicht nur unter Kunsthistorikem.
So muB man auch Snorris Voraussetzungen die richtige lange Erstreckung
geben — ohne dies unkritisch zu verallgemeinern. Sehr alt ist das Charakter-
bild Thors, fiir das Snorri unser Hauptzeuge ist, nebst der Mehrzahl von
Thors Riesenkámpfen, die er so meisterhaft erzáhlt. Diese Inhalte — etwa
der Hrungnirkampf und die anschlieBende Episode mit Groa, die den starken
Thor ebenso liebenswiirdig iibereilt mit zartsinniger Dankbarkeit zeigt, wie
er mit dem Hammerheben und auch sonst mit Worten ist — und ihre pla-
stische, launige, wortkarge Form, beides ist gemeingermanisch und wirkt
immerdar erfrischend und erwármend auf germanische Herzen. Thor erscheint
bei Snorri als der beliebte, volkstiimliche Gott, dasselbe erhellt aus anderem
nordischem Material, besonders aus Personen- und Ortsnamen, mindestens
seit Anfang der Wikingzeit, und wahrscheinlich gilt es schon fiir die álteren
Jahrhunderte und fiir alle Germanen. Zu der Zeit des verfallenden Heiden-
tums hat man in Deutschland und im Norden Donar-Thor statt Wodans
als den höchsten Gott verehrt, so daB er, nicht Wodan, es war, den der
weiBe Christ dann aus dem Felde schlug. Das hat aber Odins alter Herrscher-
stellung nicht iiberall den Untergang bereitet. An norwegischen Fiirsten-
höfen blieb sie in Geltung, die Mythen hielten sie im Gedáchtnis, am besten in
Island, und so steht sie denn noch fiir Snorri fest, der auch in seinem tlberblick
iiber die Reihe der Nibelungensagen und in seiner Baldergeschichte den alten
Formen den Vorzug gibt vor ihren neueren Metamorphosen und Auswiichsen.
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