Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1925, Blaðsíða 10
in einem bekannten Liede so sehnlichst gewiinscht hat. Aber uns war er nicht will
kommen. Wir kamen noch nach Reykholt und Borg und trennten uns dann in Bor-
garnes (4. September). Prinz und Konsemuller fuhren mit dem Schiffe nach Reykjavík,
ich ging allein weiter auf Snæfellsnes hinaus und stieg am 8. September auf den Snæfells
jökul!, der sehr leicht zu besteigen ist. Nun ging es an der Nordseite von Snæfellsnes
ostwárts, der Heimat Akureyri zu, durch den Haukadalur in den Hrútafjörður und weiter,
bis ich mich in Þingeyrar (síidwestlich Blönduóss) als „gangnamaður" dingen lieö,
d. h. zum Eintreiben der Schafe und Pferde aus dem Hochlande, wie es jeden Herbst
in der zweiten Septemberhalfte geschieht. Dazu muB jeder Bauer nach der Zahl seines
Viehes seine Leute stellen. 6 Tage (18.—23. September) dauerte das erste Treiben,
die „fyrri göngur". Jedermann hatte zwei Pferde, des Nachts lagen wir in Zelten.
Wir kamen bis an den Langjökull und bis nahe ans Arnarvatn. Einige Tage spater
ritt ich noch einmal zum Eintreiben der Pferde mit; das dauerte drei Tage. Ich kann
mir nichts Herrlicheres denken als diese wilden Ritte iiber das verschneite, weglose
Hochland hinter den groBen Koppeln der scheuen, jungen Pferde. Wir trieben zu
20 Mann an 600 Tiere zusammen, und dann ins Tal hinab in toller Jagd!
Prinz nahm in den gleichen Tagen teil an den göngur aus der Landschaft Holt (zwi-
schen unterer Þjórsá und Ytri Rangá). Dort ist man 10 Tage unterwegs und reitet bis
auf die Höhe des Sprengisands.
Am 5. Oktober schloB ich in Akureyri den Ring um Island. Hans Kuhn
IV. EIN PAAR KLEINIGKEITEN AUS DER
NORMANDIE
Von Jón Svensson.
Ein lángerer Aufenthalt zu San Carlo in der Normandie machte mich mit einem
Lande bekannt, ftir das ich als Islánder besonderes Interesse habe. Denn unsere
normannischen Vorfahren haben diese Provinz im 10. Jahrhundert n. Chr. unter Göngu-
Hrólfur erobert und besiedelt und ihr einen Charakter aufgeprágt, den sie bis heute
nicht verloren hat. Von der Normandie aus unternahmen die Nordmánner imn. Jahr-
hundert ihren Zug nach England und besiegten in der Schlacht von Hastings (1016)
die Angelsachsen. Was die Wikinger an Frankreichs Nordkúste namentlich anzog,
war das úppige Weideland; noch heute gedeiht hier das schönste und kráftigste Vieh
von ganz Frankreich. Die Weiden brauchen keine Dtingung und kaum Pflege. Der
Menschenschlag unterscheidet sich stark von dem des tibrigen Frankreich. Statt des
beweglichen, lebhaften Romanen sehen wir hier den ruhigeren, langsameren, bedách-
tigeren Nordmann, der auch in seinen Reden sich stets eine gewisse Zurtickhaltung
auferlegt. Er ist intelligent und grtindlich, aber auch stets auf seinen Vorteil, oft auf
Kosten der anderen, bedacht. Auf diesen Charakterzug zielt das sogenannte „Gebet
des Normannen", von dem sich das tibrige Frankreich erzáhlt, es laute wie folgt: „Herr,
ich bitte Dich nicht um die Gúter dieser Welt. Gib nur meinen Náchsten recht reich-
lich, dann werde ich mir schon alles beschaffen, was ich brauche." Diese Schatten-
seite des normannischen Charakters scheint mir bis auf die alten Wikinger zurtick-
zugehen. Auch die Lust an einem festen Trunk hat wohl denselben Ursprung.
Alle gebildeten Leute in der heutigen Normandie sind sich ihrer Herkunft wohl be-
wuBt und stolz darauf, daB kráftiges Nordlánderblut in ihren Adern flieBt. Die Wi-
kinger segelten mit ihren groBen Kriegsflotten lange Zeit in Nord und Stid; sie unter-
suchten die Ktisten von Marseille bis Flandern, hielten sich an vielen Stellen auf, machtcn
Ztige tief ins Land hinein und wáhlten unter allen Landesteilen schlieBlich die nach
ihnen benannte Normandie zum dauernden Aufenthalt. Neben den Weiden waren es
besonders die Obstbáume, deren groBe Zahl und herrliche Frúchte ihnen hier gefielen-
Die gebildeten Kreise der heutigen Bewohner der Normandie scheinen mir mit ihrem
Fúhlen und Denken auch heute noch ganz nordisch zu sein, so sehr sie auch fúr Frank-
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