Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1925, Qupperneq 12
Aus dem Dunkel steigt der erwachende Tag —:
Man fand sie entseelt —, auf dem Eise sie lag,
Barmherzig vom Winter so sanfte umhiiUt
Mit schneeweiBer Decke —, doch Sonnenblick fiillt
Die leuchtenden Augen dem Kinde.
Es lebt und es láchelt der Knabe, vom Arm
Der Mutter gehalten, so fest und so warm,
In schiitzenden Kleidern von sorgender Hand
Zur Ruhe gebettet, — sie aber fand
Den langen, den ewigen Frieden.
O göttliche Giite, du Funke, du Licht,
Das strahlende Anmut ins Leben uns flicht!
Du Mutterliebe, du opfernde Kraft,
Dich segne, dir helfe, der alles erschafft,
Gott, der den Preis dir beschieden!
VI. NEUE BÚCHER
i. Dr. ADRIAN MOHR, Was ich in Island sah! Plaudereien vom Polarkreis. Berlin,
Verlag Otto Uhlmann, 1925. Geb. M. 10.—.
Schon der Titel dieses Buches zeigt, daB der Verf. durchaus subjektiv verfáhrt, und
so ist man gespannt, was er fiir Eindriicke in mehrjahrigem Aufenthalt uns mitzuteilen
hat; er rechnet sich selbst zum „Federvieh", so dafl man keine Fachgelehrsamkeit er-
warten darf; aber auf vorurteilslose Beobachtungen zu rechnen ist man berechtigt,
wcnn man auch im voraus weiB, daB der Mangel der Einsicht in das geschichtlich Ge-
wordene sich bei Island ganz besonders rácht. Soweit er ohne Voreingenommenheit áber
tatsáchliche Dinge unterrichtet, zeigt er klaren Blick und verstándiges Urteil. Sehr reich
ist das Gebiet seiner Interessen: er redet von der Stadt (tiber Reykjavík ist er nicht weit
hinausgekommen), ihren Háusern, ihren Bewohnern, Lebensverháltnissen, gesellschaft-
lichen Zustánden, Handel und Verkehr, Lage, Klima, Wetter. In diesen Angaben findet
sich aber auch viel Unsachliches und Unrichtiges, besonders uber die Bewohner und deren
Charaktereigentumlichkeiten, so daB es begreiflich erscheint, daB diese recht empört sind
iiber die Art, in der tiber sie gesprochen wird, zumal der Verf. sich durchaus im Ton
vergriffen hat. Islánder in Kopenhagen haben, wie ich erfahre, in der Zeitung Politiken
sich sehr lebhaft tiber diese Beschreibung und Behandlung beschwert und man wird
ihnen in vielen Punkten recht geben miissen. Der gesunde Sinn der Islánder wird aber
die Entgleisungen eines einzelnen nicht den Deutschen tiberhaupt zur Last legen: die
Vereinigung der Islandfreunde selbst ist der beste Beweis, daB wir sie richtiger ein-
schátzen.
Der Stil des Buches versucht humoristisch gefárbt zu sein; aber der Verf. hat offen-
bar fiir wirklichen Humor wenig Sinn; man kann es doch nur als ganz frostig empfinden,
wenn er wiederholt „Leibzj" schreibt, und die Art, wie H. Kuhns Reise im Anfang er-
záhlt wird, ist auch nicht humoristisch, sondern ftir den betreffenden verletzend. Dic
Úberschriften: „Vom lieben Vieh" oder gar „Islands Maul" nehmen sich unschön aus,
zumal unter letzterem die Sprache verstanden wird. Und damit komme ich zu einem
weiteren schlimmen MiBgriff. Der Verf. beweist, daB ihm jede wissenschaftliche Schulung
auf dem Gebiet der germanischen Sprachen abgeht, Iiebt es aber, seine dilettantischen
Einfálle mit stolzer Uberlegenheit vorzutragen. Recht störend ist sein Urteil i'iber dic
Sagas (die er Sagen nennt). Die Bemerkungen daruber im SchluBwort zeigen, daB er
sie nicht kennt, von ihrer literarischen Stellung und Bedeutung nichts gchört hat.
Ingolfs Hochsitzpfeiler als Ackergeráte anzufiihren ist ein starkes Versehen. Und W1C
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