Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Page 4
durch die Entdecker und Siedler tragen, zu Statten und Schauplatzen, auf denen
menschliches Leben der Vergangenheit in einer Lebendigkeit und Deutlichkeit
sich abspielt, wie keine Ruine und kein Bildwerk und auch keine verklungene
Sprache in unserer Vorstellung es zu erzeugen vermag. Und zwar hebt diese Ver-
gangenheit hier an mit dem Anfang des Volkes, mit jenem den meisten Völkern
verhiilltenAkt ihrer Entstehung und ersten Staatsgriindung, der uns bei den Is-
landern durch den bis in die Besiedlungsgeschichte reichenden Stoff ihrer Úber-
lieferungen ganz lebendig und in einer Eiille von Einzelziigen vor Augen tritt.
Island ist durch seine aus dem Volksleben und aus der Volkskunst, aus dem
tatsachlichen Geschehen und aus der Landschaft entstandenen und heute noch
unmittelbar wirkenden Sprachwerke in gleichem und vielleicht noch höherem
Mafie ein durch iiberliefertes Menschenschicksal geweihtes, ein geschichtstrách-
tiges Land, wie andere Lánder dies durch ihre baulichen oder sonstigen greifbaren
Kulturdenkmáler sind. Die tausendjáhrige Bewahrung aber einer Sprache in
Wortschatz, Laut- und Formenbild durch schwerste volkliche Erschiitterungen
hindurch, ohne dafi sie dadurch erstarrt oder verdorrt wáre, ist bei den Islándern
nicht in erster Linie eine Folge der Abgeschlossenheit ihrer Insel und des Fort-
bestandes ihres bis zum Anfang dieses Jahrhunderts durch keinerlei stádtische
Entwicklung gestörten Bauerntums: sie ist die einzigartige Leistung eines Kul-
turbewufitseins, wie es einem Volke eignete und bis heute sein Gepráge gibt, das
aus ein paar hundert auserwáhlten Geschlechtern mit hohen geistigen Anlagen
und einem tiefwurzelnden Traditionsstolz zusammenwuchs. Es ist den Islándern
heute wie je klar bewufit, was sie an ihrer wunderbar reichen und ursprunghaften
Sprache besitzen; wie viel sie von ihrem Ansehen in der Welt ihrer Sprachkunst
verdanken und wie unbedingt ihre nationale Kultur mit der Erhaltung und Ent-
faltung ihrer Sprachkultur steht und fállt. Von Egill Skallagrímsson bis zu dem
gegenwártigen Einar Benediktsson haben sie selbst ihre Sprache besungen und
verherrlicht in Gedichten, denen kein anderes Volk etwas Áhnliches an Fiille und
tiefer Empfindung diirfte an die Seite zu stellen haben.
Worin áufiert sich nun die seit der Besiedelungszeit ununterbrochen fortgedie-
hene Sprachkultur der Islánder heute aufier in der Erhaltung der alten Sprache
selbst % Island hat sich in den letzten Jahrzehnten unter dem Hereinströmen fest-
lándischer Zivilisation in ungeahntem MaBe wirtschaftlich und technisch ver-
wandelt und entfaltet. In dieser kulturgefáhrdenden Entwicklung kámpfen die
Islánder einen spannenden Kampf um die Erhaltung der Selbstándigkeit und der
Fruchtbarkeit ihrer Sprache. Wunderbar bewáhrt sich hierbei das BewuBtsein,
in der eigenen reinen Sprache das kostbarste Kulturgut der Nation zu verteidi-
gen. Diese Verteidigung ist nicht eine Angelegenheit von einigen sprachbegeister-
ten Einzelgángern oder einem Sprachverein, sondern ist Sache der natiirlichen
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