Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Síða 7
heute so stark, weil wir wieder ein starkes Gefiihl fur den Sinn und die Bedeu-
tung der aus den tiefsten und eigensten Kráften des Yolkes quellenden Mutter-
sprache und fxir die entscheidende Aufgabe der Dichtung im Dasein unseres
neuen Reiehes bekommen haben.
Die bewundernswerte Eigenart eines kleinen Volkes, einen hervorragenden
Platz in der Kulturwelt durch die schöpferische Erhaltung und Yerwaltung seiner
reichen Sprache zu behaupten, hat eine schmerzliche Seite: Diese Sprache ist
schwer zu vermitteln, Islándisch ist keine Weltsprache und Islándisch ist schwer
zu erlernen, seine gebundene Dichtung ist nur schwer zu iibersetzen. Bedeutende
islándische Dichter bleiben ungenannt und unbekannt in der Welt, weil ihre Wir-
kung auf den kleinen Kreis ihrer 100000 Landsleute beschránkt bleibt. Uner-
kannt und oft falsch gesehen bleibt auch fiir die meisten Eremden, die Island
besuchen, das Volk selbst — denn keiner kennt die Islánder, der nicht auf ihren
Studierstuben, auf ihren Bauernhöfen, auf weiten Ritten durch das Land mit
ihnen in ihrer Sprache geredet und gesungen hat. Fur den Deutschen, der das
stolze Island der Wikingerzeit und der Sagas auf der Insel selbst sucht, gibt es
heute eine Hilfe wenigstens in den IJbersetzungen der altislándischen Literatur
ins Deutsche in der Sammlung Thule. Das ist ein úberaus wichtiges und weg-
weisendes Werk, ein schönes Zeugnis deutscher Wissenschaft und deutschen Un-
ternehmungsgeistes auf dem Felde unserer schon vor dem Kriege einsetzenden
völkischen Besinnung und Umwálzung. Kein anderes europáisches Volk hat bis
jetzt Altisland in dieser Weise und in diesem Umfang sich zu eigen gemacht,
und ebenso dúrften in der jungen Generation unter den Deutschen heute die
meisten sein, die Islándisch als lebendige Sprache sprechen gelernt und so das
wichtigste Tor in die geistige Welt des Islándertums sich erobert haben. Es sind
nach dem Kriege eine lange Reihe deutscher Austauschstudenten jeweils úber
ein Jahr und bis zu drei und mehr Jahren in Island gewesen, von denen der
gröfiere Teil sich die islándische Sprache bis zur Fertigkeit der Verstándigung
angeeignet hat. Auch das ist ein VorstoB in den neuen Raum unseres Geistes,
dem gegenúbersteht eine noch stárkere Anteilnahme der jungen Generation Is-
lands am deutschen Geistesleben, wie sie sich vor allem in dem starken Besuch
deutscher Hochschulen durch Islánder ausdrúckt. Es ist zu hoffen, daB dieses
Geben und Nehmen zwischen zwei Völkern gleichen Ursprungs und gleich star-
ker Achtung vor der Eigenart und dem Wert des anderen kráftig weiter gedeiht.
In Deutschland aber sollte es eigentúmlich zugehen, wenn nun, nachdem alle
Wege dazu gewiesen und geöffnet sind, das alte Island und sein úberragendes
germanisches Kulturwerk und das neue Island, aus dessen Natur und Sprache
dieses alte Kulturwerk uns mit ergreifender Gegenwártigkeit anspricht, in For-
schung, in Lehre, in Erziehung und Bildung um unserer germanischen Aufgabe
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