Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Side 40

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Side 40
lisation der einfachste und sicherste Weg. Sie war jedoch durchaus nicht der einzige. Dafi man sie nur erlaubte, und nicht unter bestimmten Bedingungen forderte und von Staats wegen durchfiihrte, liegt im Wesen dieses Staates: er hatte gar keine Organe, die das Gesetz hátten durchfiihren können; er war noch in den meisten Dingen der alte germanische Staat der Selbsthilfe, und so konnte er auch hier nichts anderes tun als die Selbsthilfe legalisieren. Wen die Versor- gungslast traf, der mochte den Landstreicher entmannen und sich auf diesem Wege die Last vom Halse halten. Dafi er dabei auch dann straffrei war, wenn der Entmannte fúr sein ganzes Lehen Schádigungen anderer Art davontrug oder an den Folgen starb, liegt einerseits in der Richtung der grofien Hárte, mit der das Gesetz diesen Auswurf des Volkes behandelte, war anderseits aher wohl auch nötig, weil sonst niemand einen solchen Eingriff hátte wagen können. Denn ohne diese Gefáhrdung war er damals wohl noch ganz unmöglich. In den heutigen Gesetzen ist manches anders. Von einer Selbsthilfe einzelner kann natiirlich keine Rede mehr sein, in diesen Dingen noch viel weniger als in andern. Sie ist auch nicht nötig, denn es wird kein einzelner und auch kein sehr kleiner öffentlicher Verband mehr von der ganzen Versorgungslast betroffen. Es kennt auch nicht mehr wie im alten Island jeder jeden derart, dafi er imstande wáre dariiber zu urteilen, ob die Bedingungen des Gesetzes erfiillt sind. Ferner kann heute der Eingriff ohne jede weiteren Schádigungen und auch ohne die Zer- störung des ganzen Geschlechtsvermögens durchgefiihrt werden. Viel wichtiger wird jedoch scheinen, dafi heute bei der Sterilisation statt sozialer und wirt- schaftlicher Griinde biologische an der Spitze stehen: die Ausmerzung minder- wertigen Erbguts. Aher dieser Unterschied schrumpft bei genauerem Zusehen sehr zusammen. Es sind die wirtschaftlich und sozial minderwertigen und schád- lichen Erbanlagen, gegen deren Vermehrung die modernen Gesetze gerichtet sind, alle die Anlagen, die es verschulden, dafi die Menschen zu ordentlicher Arbeit unhrauchbar werden, dafi sie sich und ihre Nachkommenschaft nicht selbst unter- halten können oder wollen, oder wenigstens nicht auf ehrliche Weise, sodafi sie in irgendeiner Form der öffentlichen Fiirsorge zur Last fallen, der Armenpflege oder in Krankenháusern, Irrenanstalten oder Gefángnissen. Umgekehrt traf das altislándische Gesetz, das zunáchst dazu diente, soziale Lasten zu mildern, in dem fahrenden Gesindel den biologisch minderwertigsten Teil des Volkes. Denn in Island brauchte damals niemand vom Bettel zu leben, der arbeiten konnte und wollte. Fiir diejenigen, die ihre Arbeitsfáhigkeit ver- loren, war im allgemeinen geniigend gesorgt. Das Gesetz, das die Entmannung der Landstreicher gestattet, ist niichtern wie alle altislándischen Gesetze, es ver- zichtet auf jede Begriindung und hat eine unmittelbar praktische Aufgabe: den Schutz vor einer wirtschaftlichen Belastung, die manchen ohne Schuld treffen 102

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