Mitteilungen der Islandfreunde - 01.09.1934, Page 46
sches ohne weiteres auf Deutsehland zu iibertragen, er war sich stets bewufit, dafi bei aller
Wichtigkeit des Nordischen fiir die gemeingermanische Altertumskunde Yorsicht am Platze
ist. Ein recht deutliches Zeichen dafiir ist, dafi er rasch hintereinander, aber getrennt, eine
„Deutsche Mythologie“ 1898 und eine „Nordische Mythologie“ 1903 herausgab. Damit
war er in ein Gebiet eingetreten, das er nie wieder verlassen hat, die germanische Mytholo-
gie in weitestem Siim, die er genau im Volksbrauch bis auf die Gegenwart verfolgte. Gerade
dieses Gebiet, das Eortleben der alten Vorstellungen und Gebráuche nachzuweisen, war ihm
besonders ans Herz gewachsen, und bei diesen Arbeiten fand er zunáchst die Gelegenheit,
den unendliehen Sammelfleifi, der alle seine Biicher auszeichnet, zu beriihren. Die „Nor-
dische Mythologie“ hat so gut wie alles einschlágige Material aufgearbeitet und systematisch
vorgefuhrt, in glueklicher Verbindung von griindlicher Quellenkenntnis und gemeinverstánd-
licher Darstellung. Die deutsche Mythologie, die auch wegen der sorgfáltig gesammelten Ab-
bildungen geme aufgeschlagen wird, hat eine 2. Auflage (1906) erlebt.
Nahe der Mythologie, von ihr nicht immer ganz zu trennen, steht die Sagenforschung. Da-
mals wurde insbesondere fúr die Geschichte der nordischen Sagen eine neue Zeit heraufge-
fúhrt durch die aufsehenerregenden Untersuchungen Axel Olriks tiber die sagengeschicht-
lichen Búcher des Saxo Grammatikus, wo H. erkannte, dafi als Vorarbeit zu seiner nordi-
schen Mythologie eine grúndliche Kenntnis dieses schwierig zu verstehenden und noch schwe-
rer zu erklárenden Schriftstellers nötig sei; diese sich selbst zu verschaffen und anderen mit-
zuteilen, machte er sicli an eine Ubersetzung der in Betracht kommenden Búcher, zugleich
mit der Absicht, das hier einschlagige Sagenmaterial vollstándig zu verfolgen und vorzulegen.
So erschien denn die Ubersetzung der ersten neun Bticher des Saxo (mit sehr wertvollen
Beigaben des Professors Knabe in Torgau) im Jahre 1903. So sehen wir an einem deutlichen
Beispiel die Grúndlichkeit, mit der H. zu arbeiten pflegte. In diesen Zusammenhang ge-
hört das Gymnasialprogramm von Torgau 1905, „Die Geschichte von Iírolf Kraki“,
aus dem Islándischen tibersetzt, erláutert und mit sagengeschichtlichen Parallelen versehen.
Hier war, wenn auch nicht mit dem ganzen bibliographischen Material, ein Bild gegeben, wie
der Kommentar zu Saxo, an dem er fortgesetzt arbeitete, schliefilich aussehen wúrde.
Die nordischen Studien hatten die Aufmerksamkeit der Regierung auf H. gelenkt. Vor der
úblichen Zeit wurde ihm der Titel Professor verliehen und dann ermöglichton wiederholt ge-
gebene Reisestipendien ihm 4 Reisen nach Island, um die Sagastatten aufzusuchen. Diese
Reisen aber fúhrten natúrlich nicht in das Island der Landnahmezeit, sondern in das moderne
Island. Die Ergebnisse dieser Reisen hat er in drei stattlichen Bánden, einem Gymnasial-
Programm und zwei gröfieren Aufsátzen in den „Mitteilungen der Islandfreunde" nieder-
gelegt. Die „Reiseerinnorungen" (so lautet der bescheidene Titel) zeigen zwar durchgángig,
dafi der Verfasser den wissenschaftlichen Interessen auf dem Gebiete der Sage und der Volks-
sage nachgeht, aber er beschránkt sich keineswegs auf diese Forschungsgebiete, im Gegen-
teil: es gibt kein Gebiet der materiellen und geistigen Kultur, auch die geographisehen und
geologischen Eragen mit eingeschiossen, das nicht sorgfaltigst auf Grund gewissenhafter Vor-
bereitung dargestellt wáre. Wer irgend etwas tiber Island wissen will, aus alter oder neuer
Zeit bis zum Tage seiner Reisen, wird alles verarbeitet finden, was in zahlreichen Búchern
zerstreut, nicht leicht an einer Stelle zugánglich ist; dazu auch einige Ermittlungen und Be-
obachtungen. Die Leistung ist um so grofiartiger, als die Notizen stets am Tage des Besuchs
der einzelnen Gebiete niedorgeschrieben sind und das Reiten úber so lange und oft recht un-
wegsame Strecken die körperliche und geistige Kraft im stárksten Mafie in Anspruch nahm.
Seinem Eorschungstrieb mufite H. auch seine Gesundheit zum Opfer bringen; durch einen
Sturz am Hvítárvatn hat er sich die Zuckerkrankheit zugezogen, an der er von da an bis zu
seinem Lebensende schwer zu leiden hatte. Seit Herrmanns Reisen hat sich auf Island viel
geándert. Das Werk hat in seinem Wert durch diese Veránderungen schwerlich verloren.
Denn Land und Volk, seine Geschichte und Literatur sind geblieben und damit auch alles,
was die festen Grundlagen des Buches ausmacht.
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