Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Page 9
H. C. ANDERSEN UND WEIMAR
Von Dr. phil. Louis Bobé,
Königl. dánischer Ordenshistoriograph.
DAS Fiirstenheim im Thuringerland, »wo Luther geredet
und Goethe und Schiller gedichtet«, ist durch ein Jahr-
zehnt das ersehnte Wanderziel H. C. Andersens auf des-
sen vielen und langen Zugvogelbahnen. Die innige und bewáhrte
Freundschaft, welche den grossen Dichter, der im engen Gáss-
chen zu Odense das Licht der Welt erblickte, mit dem erlauchten
Wahrer der Traditionen Weimars, dem Schlossherrn auf der
Wartburg, verband, bildet eines der denkwiirdigsten Kapitel in
dem bunten Bilderbuche H. C. Andersens, welchem er so sinnig
den Namen »Márchen meines Lebens« gegeben hat.
Die wenigen nachgebliebenen Zeugen des nachklassischen
Weimar zur Zeit des Grossherzogs Carl Alexander, welche
heute die geweihten Státten ihrer Jugend aufsuchen, können sich
des Eindrucks nicht erwehren, dass der Name des einst so ge-
feierten Landesherrn wo nicht vergessen, so durch die grossen
Weltbegebenheiten sehr verblasst ist. Seine Verdienste um Land
und Volk, sein unermiidliches Streben im Dienste der Ideale,
die das Irdische iiberleben, im Bewusstsein der Gegenwart wach-
zurufen ist Pflicht der Pietát.
Carl Alexander, der 1901, Enkel des Grossherzogs Carl Au-
gust, zweiundachtzigjáhrig, aus dem Leben schied, war als prá-
sumtiver Erbe des kleinen, suveránen Fiirstentums von seiner Ge-
burt an bis zu seinem 14. Jahre der Obhut Goethes anvertraut
gewesen. Die Enkel des Dichters waren seine Spielgenossen, und
trotz ihrer Sonderbarkeiten blieb er ihnen bis zu ihrem Tode treu
ergeben. Ihre Schwester, die anmutige, friihverstorbene Alma,
hatte auf einem Hofball in Weimar mit ihm zu den Tönen
des einschmeichelnden Kaiserwalzers den ersten Tanz ihres Le-
bens getanzt. Der exzentrischen Mutter der Titaniden, Ottilie
von Goethe, bewahrte er, trotz ihrer Irrungen und Wirrungen,
eine freundschaftliche Gesinnung.
Goethe war und blieb fiir Carl Alexander der Leitstern des
Lebens. Noch kurz vor seinem Ende bekannte er, dass er alles,
nur Goethe nicht, entbehren könne. In dessen Geiste von friiher
Jugend an von Liebe zur Dichtung, Kunst und Wissenschaft be-
seelt war sein höchstes Ziel, Weimar zu einem nachklassischen