Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Page 15
H. C. ANDERSEN UND WEIMAR
11
so lange geborgen hatten. Ein áltlicher Herr mit zwei hiibschen
jungen Damen stand an der Gartentur. Er frug mich, ob ich
eintreten wollte. Als ich bejahend es that, redete er mich bekannt
un. Es war der Herzog von Augustenburg. Er fiihrte mich in
das Haus, er zeigte mir die Ráume, die einst, vor so vielen Jah-
ren, von meinen Eltern in Kriegesnoth und Angst bewohnt wur-
den (im Jahr 1806) und die ich nun, ihr Sohn, auch wieder in
Kriegesnoth, nach so viel Jahren betrat. O, welches Máhrchen
ist máhrchenhafter als das Leben! — Die Herzogin empfing mich.
Wir setzten uns in eine Fenstervertiefung. Ich erkundigte mich
nach ihren Söhnen. Sie waren beide im Krieg. Die arme Frau,
still weinend, klagte mir ihre Noth, wie ihre Söhne im Felde seien,
sie selbst fliichtend, ihrer Besitzungen verlustig, ihrer Habe be-
raubt, am Ende einer glánzenden Yergangenheit, am Thor einer
dunkeln Zukunft. Ich bin nicht der Richter íiber das Thun und
Lassen dieser gefluchteten Familie; das versichere ich aber, dass
wer sie in diesem Augenblicke sah, Mitleid mit ihr haben musste.«
In einem folgenden Briefe (vom 10. Febr. 1850) schreibt Carl
Alexander: »Dass Sie mir in jedem Briefe drohen, nie wieder zu
kommen, wie auch dass Ihre Briefe immer weniger und seltener
werden, thut mir wirklich leid. Muss ich denn uberall, selbst in
der Freundschaft, auf die unselige Politik stossen?«
Die Friedensbotschaft im Juli 1851, die Andersen auf Fíihnen
erreichte, kam iiber sein Herz wie ein Sonntagsfest. Er weinte
vor Freude, ging in den Wald hinaus und sang aus voller Brust
deutsche und dánische Lieder. Nun konnte er auf ein 'Wiedersehen
mit dem geliebten Fursten hoffen.
Nach fiinfjáhriger Trennung kam Andersen wieder 1852
nach Weimar, wo er drei 'Wochen verblieb. Carl Alexander
empfing ihn mit unveránderter Herzlichkeit, doch zeigt das Tage-
buch des Dichters, dass dieser Besuch ihm Táuschungen brachte.
Er hatte unter dem Unwillen einiger Hofleute zu leiden, die ihm
als Dánen unfreundlich begegneten. Zu Liszt trat er in náhere
Beziehungen, bezeichnet ihn aber als einen »leidenden Dámon,
der seine Seele frei spielen muss.« Die Gráfin Caroline von Egloff-
stein berichtet, dass sie ein paar stille angenehme Stunden mit An-
dersen verbracht habe. »Seine Individualitát hat mir besser ge-
fallen, als ich gedacht, v/eil er fromm und mild ist, und kindlich
gut sich zeigt und trotz seiner kindlichen Eigenliebe mich in-
teressiert.«