Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Qupperneq 71

BETRACHTUNGEN UBER „DEN
EUROPÁISCHEN BUND“
Von Dr. phil. Knud Fabricius,
Professor der Geschichte an der Universitát Kopenhagen.
5CHON im Zeitalter der Renaissance, gleichzeitig mit der
Entstehung der modernen westeuropáischen Nationalstaa-
ten Spanien, Frankreich und England, begegnet man dem
Gedanken einer grösseren, auf freiwilligem Wege zustandege-
brachten Einheit, deren Ziel die Sicherung des Friedens zwischen
den christlichen Völkern Europas sein sollte. Es waren solche Ge-
danken, die Sully, dem Minister Heinrichs IV, in seinem »grossen
Projekt« vorschwebten, und wenn Leibniz den Expansionsdrang
Frankreichs von Europa auf fremde Koloniebesitzungen wie
Agypten ablenken wollte, ging er verwandten Gedankengángen
nach. Die Idee einer grösseren Einheit ist nie ganz erloschen, ob-
wohl der moderne Staat gleichzeitig durch die Entwickelung des
Suveránitátsbegriffs auf naturrechtlicher Grundlage seine Stel-
lung befestigte. Es mag geniigen, auf Abbé de Saint-Pierre wáh-
rend der Regentschaft in Frankreich sowie auf Kant wáhrend
des 18. Jahrhunderts in Deutschland hinzuweisen. Aber beson-
ders nachdem der gewaltige französische Versuch, durch Macht-
mittel einen europáischen Einheitsstaat zu begriinden, geschei-
tert, und Napoleon nach St. Helena verbannt worden war, konn-
ten die siegreichen europáischen Grossmáchte sich nicht der Er-
kenntnis verschliessen, dass es in Zukunft nicht damit getan sein
wiirde, zu der im 18. Jahrhundert gefiihrten Koalitions- und
Gleichgewichtspolitik zwischen selbstándigen Staaten zuriick-
zukehren. Die Stiftung der »heiligen Allianz«, die der Initiative
Russlands entsprang, war ein deutlicher Schritt auf dem Wege
dieser Entwickelung.
Urspriinglich zwischen den Herrschern Russlands, Österreichs
und Preussens begriindet, wurde diese Allianz allmáhlich erwei-
tert und umfasste schliesslich sámtliche europáische Fiirsten. Die
»heilige Allianz« zielte darauf ab, dass die Fiirsten im Hinblick
auf die Kriegsereignisse der letzten Jahre in Zukunft die Vor-
schriften der christlichen Religion — Gerechtigkeit, Liebe und
Frieden — zur Richtschnur ihrer gegenseitigen Beziehungen und
ihrer inneren Regierung nehmen sollten. Sie wollten sich als Brii-
der und Landsleute betrachten, die sich bei allen Gelegenheiten
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