Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Page 77
»DER EUROPAISCHE BUND«
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fall der Kultur eintreten muss, wenn die gesellschaftliche Ent-
wickelung sich nicht in fortschrittlicher Richtung bewegt.
Schmidt-Phiseldek verschliesst sich jedoch nicht der Erkennt-
nis, dass sich neben den Umstánden, die fiir eine europáische Ein-
heit wirken, andere Faktoren geltend machen, die einer solchen
Entwickelung hindernd im Wege stehen und iiberwunden werden
miissen. Das wichtigste Sonderinteresse, auf das jeder einzelne
Staat verzichten muss, ist das Recht des Krieges, das an und fiir
sich eine contradictio in adiecto darstellt; oder besser gesagt: die
gesetzlose Autokratie der Staaten muss aufgegeben werden, wie
dies innerhalb Deutschlands bereits durch die deutsche Bundes-
Acte vom 8. Juni 1815, Artikel 11, geschehen ist. Wenn aber von
den europáischen Staaten im allgemeinen die Rede ist, sind die
Schwierigkeiten natiirlich weit grösser. Haben doch diese Staaten
seit undenklichen Zeiten das vermeintliche besondere Interesse
ihrer Völker in blutigen Kriegen gegen einander verfochten, die
angeerbte Nationalantipathieen zur Folge gehabt haben. Der Ver-
zicht auf den Krieg als Mittel zur Lösung von Streitigkeiten zwi-
schen Staaten muss grundsátzliche Gleichberechtigung aller Bun-
desmitglieder bedeuten. Man wird z. B. nicht sein Staatsgebiet
gegen Einwanderung oder Einfuhr aus anderen Bundesstaaten ab-
sperren oder dasselbe einem Mitgliede gegeniiber öffnen und einem
anderen gegeníiber schliessen können. Diese Bedingung wird grosse
Anderungen in der inneren Verwaltung der Staaten mit sich fiih-
ren. Selbstverstándlich werden auch keine Eroberungen innerhalb
des gesamten Bundesgebietes stattfinden können. Gebietsabtretun-
gen einzelner Bundesmitglieder an andere erfordern die Zustim-
mung des ganzen Bundes. Aber in dieser Form miissen sie freilich
durchgefiihrt werden können, denn Völker, die sich in Sprache
und Abstammung nahe stehen, miissen sich gegenseitig einander
náhern können, damit zufállig Verbindungen durch organische
abgelöst werden können. Eine solche Annáherung wird eine der
segensreichsten Folgeerscheinungen eines europáischen Bundes
sein. Unter den jetzt obwaltenden Verháltnissen können derartige
Veránderungen nur durch grosse Erschiitterungen zustandekom-
men.
Dem gegeniiber wird man indessen den Einwand erheben, dass
ein ewiger Friede mit den urspriinglichen Anlagen des Menschen
in Widerspruch steht. Nicht was er hat, erfreut den Menschen,
sondern was er erwirbt. Je grösser der Besitz, desto mehr wachsen
die Kráfte zum neuen Erlangen. Die ganze Natur scheint von der