Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Blaðsíða 147
NORDISCHE SCHICKSALSGEMEINSCHAFT 141
Schon wáhrend des friihen 12. Jahrhunderts sehen wir, wie sich
eine sozusagen nordische Stimmung herausarbeitet. Unser Blick
richtet sich hierbei zuerst auf Norwegen und sein Tochterland
Island. Eine plötzliche geistige und literarische Bliite kommt dort
zur Geltung. In vieler Hinsicht enthált diese geistige Vitalitát eine
Wiederbelebung gemeinsamer nordischer Erinnerungen, gemein-
samer nordischer Gefiihle und Vorstellungen, gemeinsamer nor-
discher Sitten, Gedanken und Gebráuche. In 'Wirklichkeit können
wir hier von einer nordischen Renaissance sprechen, der ersten,
die wir in der Geschichte des Nordens kennen. Ihre Kraft war
nicht nur auf Norwegen-Island beschránkt. Tatsáchlich liegt sie
der gleichzeitigen Entwicklung in Dánemark zugrunde, die vor
allem durch Sven Aagesen und Saxo reprásentiert wird, und im
Grunde muss sie wohl auch in Schweden Widerhall und Nach-
folge gefunden haben, wenn auch die Zeugnisse davon im Meere
der Zeiten so gut wie verschwunden sind. Die Bedeutung der
nordischen Renaissance kann kaum iiberschátzt werden. Die nor-
dischen Völker erinnerten sich alles dessen, was sie miteinander
verband, gemeinsamer Kámpfe und Míihen, gemeinsamer ehren-
voller Taten, der Gemeinsamkeit in allem, was Menschen wert-
voll und lieb erscheinen kann. Die nordischen Völker fiihlten sich
in ihrem Sinn briiderlich zueinander hingezogen und waren von
einem bewussten oder unbewussten Gefiihl gemeinschaftlicher
Pflichten beseelt.
Die inner-skandinavischen Stimmungen trafen bald mit Fak-
toren anderer Art zusammen, die in gleicher Richtung wirkten.
Der Norden war damals einem bedeutenden auslándischen Druck
ausgesetzt. Vor allem war es die gewaltige deutsche Handelsexpan-
sion, die iiber den Norden hinging und das selbstándige Staats-
leben der nordischen Lánder bedrohte. An den leitenden Stellen
wurde die Vereinigung der skandinavischen Kráfte gegen gemein-
same Gefahren bald als dringende Notwendigkeit erkannt. Unter
diesen Umstánden ist es nicht werkwiirdig, dass die nordischen
Reiche des Mittelalters auf die Bahn eines engen Zusammen-
schlusses gebracht wurden. Als Hauptgestalt zeichnen sich die
Umrisse von Birger Jarl in Schweden ab. Es lassen sich von
Birgers Seite planmássige Bemiihungen verfolgen,_ die Gegensátze
zwischen den skandinavischen Reichen auszugleichen und diese
Lánder zu einer gleichgerichteten Aussenpolitik zu sammeln.
Zu irgendwelchem organisierten Zusammenleben brachten es
die nordischen Reiche jedoch noch nicht. Die trennenden Interes-