Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Side 181
NORDISCHE KUNST
i75
Das Merkwiirdige an der Kultur der nordischen Völker ist,
schon von uralters her, dass sie in jedem ihrer Lander Erscheinun-
gen aufweist, die nicht in ebenso reichem Masse in den anderen
Lándern auftreten. Siidskandinavien lásst uns in Bewunderung
vor den máchtigen Megalithgrábern der Steinzeit verweilen. Die
Felsenplatten Nordskandinaviens bewahren die staunenerwecken-
den Tierzeichnungen primitiver Jager. Im Dánischen National-
museum tritt uns die Kultur der Bronzezeit in iiberwáltigendem
Reichtum entgegen. Im historischen Museum in Stockholm glán-
zen die Goldschátze der Völkerwanderungszeit. Oslo kann mit
Stolz die aus den Grabhiigeln geborgenen Wiginkerschiffe und
die ganze práchtige Ausstattung zeigen, die der »Osebergkönigin«
mit ins Grab gegeben wurde. Im Upland haben die kunstgeiibten
Runenmeister Bali, Oeper und Asmund die Grabsteine der Gross-
bauern geschmiickt. Was das eine Volk nicht mehr bewahrt, aber
möglicherweise auch einmal gehabt hat, besitzt das andere. Wenn
das eine Volk, von unumgánglichen Aufgaben in Anspruch ge-
nommen oder vom Schicksal bezwungen, sich nicht zu voller
Bliite entfalten kann, erlebt das andere eine Bliitezeit. Dies gilt
nicht nur von den práhistorischen Zeiten, sondern vom ganzen
Ablauf der Geschichte bis auf unsere Tage.
Arthur Hazelius tráumte davon, ein Nordisches Museum zu
schaffen, in dem die Kultur aller nordischer Völker als ein an-
schauliches Ganzes dargestellt werden sollte. Sein Traum wurde
in der Form, wie er es wollte, nie zur Wirklichkeit. Er kam zu
spát oder vielleicht eher zu friih. Aber selbst wenn dieser Traum
Wirklichkeit wiirde, — und warum sollte er das nicht einmal
werden können? — in einer konzentrierten Form wiirde ein
solches Museum zu den nationalen Museen in den verschiedenen
Lándern keine Konkurrenz bilden — dann wiirde man das Merk-
wiirdige erleben, dass in der nordischen Kultur als Ganzem sámt-
liche Zeitalter der menschlichen Kultur gleich gut, reich und
schön vertreten sind.
Halten wir uns an die Kunst der christlichen Zeit, so hat
Dánemark die Ehre, die einzigen grossen romanischen Kathedra-
len des Nordens erbaut zu haben: Lund und Ribe. Es gehörten
bebauter Boden und iippige Weiden dazu, um im Laufe von ein
paar Menschenaltern solche Werke zu schaffen. Und noch mehr,
es gehörten die vereinigten Kráfte von Gemeinde und Fiihrer
dazu, die wohl im dánischen Reiche der Waldemaren zu finden
waren, keineswegs jedoch in dem von Geschlechterfehden zerris-