Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Blaðsíða 183
NORDISCHE KUNST
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unter ihnen vor allem Hegvaldr, brachten in ihren Taufbecken
und anderen Skulpturen eine ungestiime und blutige Phantasie
zum Ausdruck, die noch heidnische Art verrát.
Bornholm, die kleine Insel in der Ostsee, vielleicht friiher
einmal Burgundarholm, hat im friihen Mittelalter als Wehr ge-
gen Seeráuberflotten die seltsamen Rundkirchen errichtet, die in
gleicher Weise der Andacht und der Verteidigung dienten, und
die diinn verstreute Gegenstiicke an bedrohten Einfahrtswegen
bis weit hinauf in Schweden aufzuweisen haben.
Dánemark, Schonen, Smáland und Ostgotland weisen merk-
wiirdige Proben der romanischen Wandmaiereikunst auf. Doch
in den norwegischen Altarbildern zeigt die Malerkunst der Friih-
und Hochgotik ihre Meisterschaft. Dánemark ist das Land der
»goldenen Altáre«, der prachtvollen Schmiedelettner. Die nor-
wegische Bildhauerkunst unter dem Geschlecht der Sverre, die
zum ersten Male von dem jungen Harry Fett mit einer eigentiim-
lich mitreissenden Darstellungsgabe geschildert worden ist, fes-
selt uns durch ihre Abwechslung zwischen klassischem Adel und
primitiv gewaltiger Normannenwildheit. Wenn man den selb-
stándigen Wert dessen wágen und messen will, was die nordi-
schen Völker in ihrem Mittelalter uns an Kunst zu schenken
Vermochten, wird man immer diesen Skulpturwerken aus dem
norwegischen 12. und 13. Jahrhundert einen der ersten Plátze
anweisen miissen. Sankt Olav von Fresvik, jetzt im Nordischen
Museum, besitzt eine nervöse Ausdrucksweise und eine Empfind-
samkeit der Form, die ihn den grossen kontinentalen Skulpturen
des Mittelalters ebenbiirtig erscheinen lassen. Diese Statue, dieser
Kopf wiirde in jeder Sammlung der Welt eine Hauptnummer
abgeben. Man erinnert sich noch dieses Bildes, wenn vieles, was
an und fiir sich wert wáre, im Gedáchtnis bewahrt zu werden,
sich in unserer Vorstellung in seinen Konturen verwischt hat.
Auch im Osten, auf Gotland, hat es die Bildhauerkunst ver-
mocht, sich iiber das diirftige Niveau der 'Wiederholung und
Nachahmung zu erheben. Und wenn auch bei den Kruzifixen
v°n Hablingbo und öja Sachsen und Frankreich Pate gestanden
haben, so stehen diese Kunstwerke doch in enger Verbindung
mit der eigenen Kunst der Gotlánderinsel und zeugen von ihrer
hohen Entwicklung.
_ Die Gotik schuf in jedem einzelnen der drei mittelalterlichen
Reiche das einende nationale Heiligtum: Trondheim, Roskilde,
Upsala. Nur Dánemark war imstande, das grosse Unternehmen
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