Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Qupperneq 189
NORDISCHE KUNST
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noch neu und im Werden. Das strenge Kunstideal der beiden
Tessin machte sich geltend im Gegensatz zu dem dekorativen
Prunk in Yingboons Ritterhausfassaden in Ziegel und Haustei-
nen und zu Jean de la Vallées festlich schwerer Architektur. Das
iibrige, was nicht Tessin d. A. und Tessin d. J. ist, versinkt all-
máhlich im Bewusstsein, und das Tessinische wird zum charak-
teristisch Schwedischen. Zum charakteristisch Schwedischen —
auch deshalb, weil es vom zeitgenössischen Dánischen am mei-
sten abweicht, von dem pompösen und gleichzeitig trockenen
niederlándisch-dánischen Barock des Stils Christians V. mit Lam-
bert van Haven als bestem Vertreter. Als die schwedische Gross-
machtstellung ihren Umschwung erlebt, als, wie es in einem bit-
teren Epigramm heisst, die schwedische Uhr »von zwölf auf eins«
(von Karl XII. zu Frederik I.) geht, wird ihr grösstes Denk-
mal geschaffen, das Stockholmer Schloss. In diesem Werk ist
Nicodemus Tessin d. J. genial, wenn man auch zugeben muss,
dass sein Schaffen im ubrigen nicht immer das gleiche Niveau
erreicht wie hier. Mit Hilfe der Lage auf der Anhöhe íiber dem
»Strom« hat er seiner Königsburg eine Haltung von herrschen-
der Grösse gegeben, mit der sie allein dasteht. Er hat die straffen
Formen der italienischen Spátrenaissance in einer Weise ange-
wandt, dass sie einem stolzen Stilwillen Ausdruck geben und zu-
gleich sich den praktischen Forderungen anpassen, die von einem
kargen Klima und spárlichen Baumaterial gestellt werden. Das
Stockholmer Schloss ist das Schweden aus der Zeit der Gross-
machtstellung.
Tessin zeichnete fur Christian V. die Pláne zu einem Schloss
in Kopenhagen. Weder Dánen noch Schweden haben Grund zu
bedauern, dass dieses Tessinschloss in der dánischen Hauptstadt
nie zur Wirklichkeit wurde. Es wiirde, so wie es hátte liegen
sollen, auf flachem Boden, niemals die grossartige Wirkung des
schwedischen Schlosses erreicht haben, und es wiirde mit der
Niichternheit seiner Formen auch niemals dem dánischen Natu-
rell entsprochen haben. Freilich gibt eine strenge italienische Spát-
renaissance, von der Tessinischen Kunst beeinflusst, zur Zeit
Frederiks IV. in Dánemark eine Gastrolle. Das Frederiksberger
Schloss ist ihr bekanntestes Baudenkmal. Gliicklicherweise wird
aber im Dánemark des 18. Jahrhunderts nicht dieser Stil ton-
angebend, sondern das pompöse und festlich-frohe Barock von
Fláusers Christiansborg, die vornehme Eleganz von Eigtveds
Amalienborg. Man fiihlt sich iiberwáltigt vor Tessins Königs-