Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Side 202
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LE NORD
huscht (»russlar i ro«). Am tiefsten und intensivsten hat jedoch
Edvard Munch den Geheimnissen des Lebens und des Todes, den
damonischen Máchten des menschlichen Gemiits Ausdruck ver-
liehen. Er iibertrágt Christian Krohgs Naturalismus vom Physi-
schen auf das Psychische, vom Sozialen auf das intim Persönliche,
von der Beobachtung auf die Intuition. Er sublimiert Krohgs Ko-
lorit und Technik, vergeistigt den Impressionismus und lásst des-
sen Szenerien zu Gesichten werden. Munchs Malerei ist zwar
nicht national in ihren Motiven oder in ihrer Zielsetzung, wird
aber in ihrer dramatischen Kraft, in ihrer koloristischen Leiden-
schaft, in ihrer verwegenen Aufrichtigkeit als norwegisch empfun-
den. Sie ist in gewisser Hinsicht mit Henrik Ibsens Dramatik
verwandt.
In der dánischen Malerei machen sich im letzten Jahrzehnt
des 19. Jahrhunderts romantische Tendenzen sehr verschiedener
Art geltend. In Yilhelm Hammershöis Kunst mit ihrer sachten
Melancholie, ihrer gráulich triiben Verfeinerung, die an J. P.
Jacobsens »Niels Lyhne« erinnern kann, wird die dánische bíir-
gerliche Tradition sublimiert. Bei Einar Nielsen, der teilweise mit
den der Zeit eigenen symbolistischen Wirkungsmitteln arbeitet,
geht die Melancholie in schwermiitiges Pathos iiber. Dieser monu-
mental gesteigerte Pessimismus hat sein positives Gegenstuck in
Joakim Skovgaard und seinem Kreise, wo das grundtvigianisch
Dánische mit der ebenfalls hergebrachten dánischen Yerehrung
des klassischen Italien verschmolzen wurde. In Poul Christiansens
Dantegemálden verbindet sich das schwere Bauerngemiit mit der
gleichen Italientráumerei, wáhrend die Maler von Fiinen von
einer solchen Freude am Heimatboden durchdrungen sind, dass
man auch sie romantisch nennen kann. Diese Freude am bestellten
Boden lásst sich mit der Einödenpoesie der zeitgenössischen Schwe-
den mit ihren Felsen und dunkelnden 'W’asserfláchen vergleichen.
Zahrtmanns Malerei in spriihendem und disharmonischem Kolorit
bewegt sich um Leonore Christine Ulfeld und wagt sich heran an
den unbeugsamsten Lebenstrotz in dánischer Geschichte und Lite-
ratur. Und zuletzt haben wir J. F. Willumsen, der nicht miide
wird zu »épater les bourgeois«, und der durch ein Kiinstlertum,
das einen riicksichtslosen Naturalismus mit einem kiihnen Willen
zum Monumentalen verbindet, die herbe Reaktion gegen alle
»Gemiitlichkeit der warmen Stuben« (»hyggen i de lune stuer«)
darstellt. Die dánische romantische Malerei gegen Ende des Jahr-
hunderts spiegelt eine reiche nationale Kultur wieder mit Gegen-
sátzen und sich gegenseitig bekámpfenden Richtungen.