Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1925, Blaðsíða 2
haltsamen Buches in eine lebende Sprache sein, Niedners Strophen die
breiteste und genaueste — oít bewundernswert genaue — deutsche Ver-
anschaulichung von Skaldenpoesie. '
Snorri ist viel zu wenig bekannt. Auch von den Gelehrten wird er nicht ge-
nug beachtet und gewúrdigt, von den Historikern nicht, die seine Geschichts-
bilder zu sehr im kichte des Sagenhaften und des Abgelegenen sehen, von
den Germanisten nicht, denen seine Angaben als jungen Datums, ihre Trag-
weite als nur islandisch oder nur nordiscb erscheint. So bedeutende Danen
wie Svend Grundtvig und Axel Olrik náhrten Vorurteile gegen Snorri als
den islándischen Rationalisten und den willkurlichen Schriftstelíer, der auBer
den erhaltenen kaum nennenswerte Quellen verwerte. Die Islánder selbst
erkennen Snorris volle Bedeutung so wenig wie die der Eddalieder, welche
Björn Olsen möglichst auf Island beschránken wollte. Der Mangel an ger-
manischem Gemeingefúhl, der in der Welt die Quelle so xnanches ííbels ist,
schadet auch der Wúrdigung Snorris.
II. Verweilen wir kurz auf dem alten Gemeinplatz der Eddaforschung, bei
der Frage nach dem rechten Sinn der Begriffe ,,júngere“ und „áltere (Sá-
munds) Edda“, so hat Symons 1906 den Bann eines úbertriebenen Kriti-
zisrnus gelockert. Wie die Heimskringla auf den Vorarbeiten der um noo le-
benden Váter der altislándischen Geschichtsschreibung beruht, so die Edda
auf einem gleichnamigen Werk des europáisch gebildeten Sámund, von dem
man um 1600 noch gewuBt, das man aber leichtsinnig mit dem Codex regius
der Lieder gleichgesetzt hat. Diese Gleichsetzung ist als falsch erkannt, da-
mit aber die áltere Edda nicht aus der Welt geschafft. Sie war kein Sagen-
buch, sondern eine núchteme Synonymensammlung, und ihre Uberreste
heben sich in Snorris Buche stellenweise nicht minder deutlich ab, als z. B.
der Text des 'Agrip in der Heimskringla.
III. Den gelehrten Vorstufen voraus liegen die volkstúmlichen nordischen
und germanischen.
Gefjon, die Heldin des geschickt als Einleitung vorgeschobenen Kapitels der
Gylfaginning, war eine in Dánemark — an der Ostseite Seelands, bei Gevnö in
Stevns — verehrte Göttin, das von ihr Erzáhlte, die Eospflúgung Seelands
aus dem Málar, ist mythische Einkleidung der Auswanderung der Dánen
aus Schweden, d. h. aus Uppland, die spátestens in den Ausgang des fúnften
Jahrhunderts fállt, also eine Volkssage mit weiterem Gesichtskreis als die
des Mittelalters und der Neuzeit, ein echtes Erzeugnis der gemeingernxa-
nischen Wanderperiode1, vergleichbar den in Stationen verlaufenden Ur-
geschichten der Goten, Langobarden, Angelsachsen. Anders Bundgaards mo-
1 Vgl. Verfasser, Die gemeingermanische Zeit, Zeitschrift fiir Deutsclikunde 1923, S. 1 Ú >
91 ff.; Altgermanische Kultur (Leipzig, Quelle und Meyer, 1925), S. 16 ff.
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