Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1931, Blaðsíða 5
kennen — und doch so, dafi wir ihn erst jetzt zu sehen wáhnen. Auch diese
zweite Hexerei gelingt dem Dichter ziemlich muhelos — und ebenfalls
allein durch eine kluge Blickstellung seines Auges — es geschieht dabei
eigentlich nichts, er unterstreicht nur gleichsam an einer anderen Stelle,
als wo wir es gewohnt sind. Das ist alles. Aber es ist sehr viel. J ón Arason
»st námlich náher betrachtet hier nur dem Schein nach historisch; zwar
verláuft dieFabel genau wie es die geschichtlichen Quellen vorschreiben,
aber all diese geschichtlichen Geschehnisse, Gestalten, Schicksale dienen
°ur dem einen Zweck, die Landschaft und die Luft zu sein, worin der Held
Sein und Sinn gewinnen kann; ja, selbst seine eigne historische Bestim-
mung ist gleichsam nur nebensáchlich. Denn nicht das Was seines Lebens,
sondern das Wie seiner Art ist hier letzten Endes wichtig. Das ins Ty-
pische erhobene zeitlose Menschentum ist es, was an diesem Bilde J ón Arasons
hervorgekehrt wird. Nicht Jón Arason als Stallknecht, Priester, Bischof,
Mártyrer wird hier vor allem betont — sondern Jón Arason als Mensch,
und zwar als der Mensch, der er war: der ewige Islánder. Der islándische
Bauer, wie ihn der Islánder in der Vorstellung seiner Menschwerdung von
jeher wollte und erstrebte: der ganze Mensch. Solch ein islándisches Ideal-
bild vom Menschen, „Knecht und Uberwinder" in einer Person war Jón
Arason, ein wirklicher Bauer, dem ja, wenn er richtig ist, nichts Mensch-
liches fremd ist: der ebenso miihelos seinen Stall mistet, wie er frei vor
seinem König steht, der gleich spielend Fische fángt als Verse schmiedet, der
selber dient und selber herrscht, der wohl das Rechte will, jedoch auch
nicht die Stinde scheut, wenn sie siiB schmeckt und sich vor Gott ver-
antworten láBt, kurz — der Mensch, wie ihn ein einsames und schweres
Land wie Island schuf und brauchte, ein Mensch, der sich selber genug ist
und nach allen Seiten des Lebens hin seinen Mann steht, weil er auf sich
selber angewiesen ist und auf keinen sonst. Solch ein Ideal, Vollbauer,
Antibúrger und Antispezialist war dieser herrliche Teufelskerl J ón Arason,
Kapitán und Bischof, der dem König trotzte und fiir seinen Gott starb, solch
einer war er, und so hat ihn der Dichter uns vorgefuhrt — denn nur so ist
er noch heute giiltig fiir uns: Als unverwiistliche Arterscheinung dieses
Bandes und Volkes, welcher in jeder geschichtlichen Zufálligkeit den glei-
chen vollgiiltigen Beweis seines Menschentums erbringen wiirde.
Es ist somit ein aktuelles Buch. Aktuell, jawohl. Denn Island befindet
sich wie andre Lander auch in diesem Jahrhundert von Krieg und Nach-
krieg. Auch es erlebt jetzt seine schwere Kulturkrise. GewiB, Zweifel tun
jetzt not, und Kritik lái3t sich nicht meiden. Aber in diesen Tagen, wo
alles fragwiirdig wird, und der Mensch selbst arn meisten, kann es ihm nicht
schaden, diesem Jón Arason in die Augen zu sehen und sich ein wenig
31