Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Blaðsíða 30
Eine deutsche Siedlung auf Island
von ErnstFresenius
Wenn icli von unserer neuen Siedlungsstelle Reykjanes berickten will, mufi
icb kurz die Entwicklung zeigen. Am 1. Mai 1926 kam ich nacli Island mit dem
Ziel vor Augen, einen Hof zu erwerben. Lehr- und Wanderjahre folgten. Zunáchst
als Heuarbeiter bei Séra Jón auf Breidabólstad, dann als Kuhstallknecht auf
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der Alftanes, zuletzt 5 Jahre auf Reykjum in der Mosfellsveit. Auch dort im
Beginn Stallschweizer mit 40 Stiick Rindvieh und Melkmaschinen, dann allmáh-
lich Úbergang zur Gártnerei, die wir mit 2000 Quadratmeter Glasfláche hinter-
lieBen. Inzwischen hatte ich geheiratet. Dann 1933 im Eebruar der Aufbruch zur
eigenen Neusiedelung auf Reykjanes, Rauchspitze. Reykjanes ist eine 4 km lange
Halbinsel im Isafjorder Tief, der groBen Bucht im Suden des Drangajökull-
massivs (66° N. B., 22 V20 W. L.).
Von Isafjördur alle 4 Tage mit dem Postboot erreichbar (40 km).
Als ich Reykjanes auf Lebenszeit pachtete, waren dort keine Gebáude auBer
dem hölzernen Schwimmschulhaus und dem Schwimmbassin. Kein Hof, kein
Stall, keine Wiese, kein Garten, aber — heiBe Quellen.
Wir kamen an mit einer Kuh, 20 Húhnern und dem Baumaterial fiir ein Treib-
haus und einen Holzschuppen. Mein Schwager, der Arcliitekt Gerhard Feller,
meine tapfere Frau und zwei Kinder waren die einzigen Bewohner der Halb-
insel. Zunáchst wurde das Treibhaus montiert, das Gartenland mit warmem
Boden eingezáunt und dann der Schuppen gebaut, der den Kuhstall enthielt
und im kommenden Sommerunsere Wohnlaube wáhrenddes Schwimmkurses sein
sollte. Heute, wo unser gemútliches Háuschen steht, das wir ohne Hilfe im Winter
1933/34 gebaut haben, dient unsere „Laube“ als Pferde- und Kaninchenstall.
Reykjanes ist ein Naturwunder. Ringsum das Meer, von máBig hohen Bergen
weit umrahmt. Der Fjord ist hier 3 km breit (!). Die náchsten Höfe bei gutem
Wetter in 20—30 Minuten mit dem Ruderboot erreichbar. Zum náchsten
Bauern reitet man eine Stunde. Auf der áuBersten Spitze der Halbinsel bricht
das 80 —90° C heiBe Wasser an mehreren Stellen hervor. Hier hat man vor hun-
dert Jahrenversucht, Salz zusieden, hat es aber wegen der hohen Unkosten auf-
gegeben. Der gröBte Teil der Halbinsel besteht aus Mooren und flachgrúndigem
Grasland. An mehreren Stellen liegt die Entstehungsgeschichte der Halbinsel
klar zu Tage: ein Werk des Meeres und der vulkanischen Unterwelt. Am eigen-
ttimlichsten aber sind die submarinen Thermen. Eine von Kieselsinter verkru-
stete Felsspalte zieht sich absinkend ins Meer: Bei groBer Ebbe (im Márz) kann
man sie weit verfolgen und die einzelnen Ausbruchsstellen des heiBen Wassers
beobachten. Bei Flut ist die ganze Bucht (hveravík = Bucht der heiBen Quellen)
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