Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1940, Side 11
H. C. ANDERSEN UND WEIMAR
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Unterbringung des handschriftlichen Nachlasses Goethes und
Schillers wie auch anderer deutscher Dichter. Auch durch die kri-
tische monumentale Gesamtausgabe der Werke Goethes, die so-
genannte Sophien-Ausgabe, wird ihr Name stets unvergessen blei-
ben. Mit ihrer grosszíigigen Denkart und ihren hervorragenden
reprásentativen Eigenschaften wiirde diese Landesmutter im
schönsten Sinne des Wortes den Tron eines grösseren Reiches wíir-
dig bekleidet haben.
So lebte das edle Fiirstenpaar noch im dankbaren Bewusst-
sein der Bevölkerung, so gab es sich auch jedem Auslánder zu er-
kennen, der in ihren Bereich kam, als ich im Jahre 1896, Schiller-
forscher und H. C. Andersens Landsmann, den Vorzug hatte,
der Einladung des Grossherzogs zur Beiwohnung der Festlichkei-
ten anlásslich der Einweihung des Goethe-Schiller-Archivs zu
folgen.
In seiner áusseren Erscheinung, beim feierlichen Empfang, ge-
schmuckt mit dem goldenen Vliess an der Halskette und den
Stern des Falkenordens auf der Brust, erinnerte der damals 78-
jáhrige Grossherzog in seiner strammen Haltung und im Ge-
sichtsausdruck an den Offiziertyp von 1848. Sein Blick war matt,
aber freundlich, und redlich bemiihte er sich, jedem ihm vorge-
stellten ein giitiges Wort zu sagen. Die Grossherzogin imponierte
trotz ihrer kleinen Gestalt durch ihre aufrechte Haltung und ihre
vornehm kuhle Ruhe. Ihre ausgeprágte Hofsprache war mit fran-
zösischen Lehnwörtern vermischt und ihr Organ von hollándi-
schen Gutturallauten geprágt.
Auf seiner ersten Reise nach Deutschland, im Jahre vor Goe-
thes Tode, hatte Andersen die Absicht, dem Dichter des »Faust«
seine Huldigung persönlich darzubringen; da dieser ihm aber als
zu vornehm und abweisend geschildert war, gab er sein Vorhaben
auf. Erst im Jahre 1844 verwirklichte Andersen seinen Plan, Wei-
mar zu besuchen. Er war damals nahe an die vierzig und hatte
seine grosse Reise nach Italien, Griechenland und der Túrkei hin-
ter sich. Sein Dichterruhm hatte bereits die Grenzen seines Vater-
landes úberschritten; sein »Bilderbuch ohne Bilder« hatte in de
la Motte Fouqué einen gewandten Obersetzer gefunden; seine
»Márchen fúr Kinder erzáhlt«, seine Romane »Der Improvisa-
tor«, »0. T.« und »Nur ein Geiger«, aus den Jahren 1835—38,
und »Der Bazar eines Dichters« (1843) waren der deutschen
Leserwelt zugánglich gemacht worden. Mit den Veteranen der