Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1926, Blaðsíða 12
Dies Werk Einars zeigt dreierlei: eine Hand, die sich aufrecht erhebt,
eine Felsmasse und eine Gestalt mit einer Harfe unter dem Daumen der
Hand. tíber die Form dieses Werkes ist wenig zu sagen. tlber die Kom-
position nichts weiter, als da£S sie recht merkwiirdig ist. Und so bleibt nur
der Inhalt. Man sieht gerade an diesem Punkte deutlich, wie eigenartig
der Weg Einars ist. Ein Bildhauer, dessen Hauptaufgabe die Formung
ist — und was an seinem Werk interessant ist, ist der Inhalt und nicht
die Form. Denn der Beschauer fragt nach dem, was das Dargestellte aussagt,
bedeutet. Er mufi aus den plastischen Formen die Gedanken wieder zum
Eeben erwecken und sie aufnehmen. Eine Gestalt mit einer Eeier. Wie
geláufig ist diese Allegorie, und wie alt. Aber die Gedanken werden weiter
geleitet. Die Gestalt steht unter dem Daumen der Hand, die die Felsmasse
stiitzt, sie am Niederfallen verhindert, auf sie einwirkt. Was liegt náher,
als an die Natur und an diejenigen zu denken, die in táglichem Kampf
um das Dasein auf die Natur einwirken. Unter der Arbeit an der Natur hat
die Kultur ihr Plátzchen. Gelingt es der Hand nicht, die Natur zu be-
zwingen, sie erdriickt mit ihrem Gewicht die kleine schwache Kultur. Aber
je höher die Arbeit auch die Natur zu heben vermag, desto gröBer wird der
Raum, den die Kultur einnehmen kann. Man kann die Gedanken in dieser
Richtung beliebig weit fortspinnen. Das bleibt dem Denken des Betrachters
iiberlassen. Aber man muB eben denken, denn, wenn man angesichts dieses
Werkes nichts denkt, sondem nur seine Formen genieBen will, dann bleibt
das Werk stumm.
So sind die Werke Einars Ausschnitte aus einer Gedankenreihe, und der
Beschauer muB sich bei der Betrachtung in diese Gedankenreihen ver-
setzen. Das groBe Werk ,,Dögun“, die Morgendámmemng, ist so ein Aus-
schnitt. Man sieht die zu Fels erstarrte Masse, mit menschenáhnlichen
Formeu, die drohend ihre Faust ausstreckt und sieht in seiner Gewalt die
weiBe Gestalt, die in seligem Jauchzen die geöffnete Hand nach derselben
Richtung streckt. Man sieht auf den Ziigen dieses Menschenkindes die ersten
Sonnenstrahlen sich spiegeln, die den Geist des Dunklen in Stein verwandelt
haben. Gegeniiber diesem Werk hat man nicht eine Stimmung oder ein
Gefiihl, sondern man hat geistiges Erkennen, das die Gedanken bringen.
Diese Morgendámmerung ist nicht eine einfache Naturerscheinung, sondern
sie ist das Erlebnis des Denkenden Menschen, nicht des Fúhlenden. Nur der
denkende Mensch vermag die bezwungene Nacht und den aufgehenden Tag
zu einem einzigen Erlebnis zu vereinigen. Der fiihlende Mensch aber gehört
nur der einen Stimmung an, der finsteren oder der hellen.
So ist Einar Jónsson der schaffende Kiinstler des Denkens, des gei-
stigen Erlebens. Seine Werke sind aus dem Gedanken heraus geboren und
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