Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Síða 4

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Síða 4
Islands Freiheitskampf von Reinhard Prinz Es ist durch Presseauf satze in der europáischen öffentliohkeit die Prage aufgetaucht, wie Is- land sioh bei der vertragsmaBig im Jahre 1943 stattfindenden Volksabstimmung uber das Fortbestehen der Union mit Dánemark ver- halten werde und welche FoJgerurjgen aus der einen oder anderen Entscheidung sich fiir die Zukunft Islands ergeben können. Unter diesen Umstanden ist es geboten, die meist wenig be- kannten politischen Zusammenhange dieser Lebensfrage des islándischen Volkes, auch in ihrer historischen Bedingtheit, aufzuzeigen. Islands Ruhm in der gebildeten Welt beruht auf der hohen geistigen Kultur seiner Friihzeit; und innerhalb dieser Kultur ist es vor allem die einzigartige literarische Schöpfung, der das germanische Inselvolk die Aufmerksamkeit und die Bewun- derung der anderen Yölker verdankt. Diese allerdings gröBte geistige Leistung der Islander hat ihre iibrige Geschichte und ihr spáteres geistiges Werk in den Augen des Auslandes ganz in den Hintergrund treten lassen; nach der Meinung der Islánder selbst zuUnrecht. Die bemiihen sich neuerdings immer stárker, einen im- unterbrochenen Zusammenhang wertvoller, substanzerhaltender geistiger Schöp- fung auch durch alle Jahrhunderte des Niederganges hindurch aufzuzeigen und im Bereich des Politischen gelten ihnen die erfolgreichen Freiheitskámpfe des letzten Jahrhunderts nicht weniger als die Griindung des Freistaates vor tausend Jahren. Auch erweitert sich auf Island seit der Jahrhundertwende der Kreis der kulturellen, insonderheit der kúnstlerischen Kráfte und Stoffe immer mehr, und dies zwingt dazu, die einseitige Einschátzung der Islánder als eines nur zur Wort- und Sprachkunst befáhigten Volkes aufzugeben. Die Beschránkung der kiinstle- rischen Gestaltung der Islánder auf das Literarische lag begriindet in den bis in die jiingste Zeit fortbestehenden Lebensformen des germanischen Bauernvolkes; die Wandlung dieser . Lebensformen, die Entstehung einer stádtischen Gesell- schaft, eines umfangreichen Verkehrs und Giiteraustausches mit dem Ausland hat auch eine sehr bald zu eigener Entwicklung und zur Anerkennung gelangte islándische Ton- und Bildkunst gezeitigt. Die neue Entfaltung der islándischen Kultur, die in diesen Vorgángen sichtbar wird, geht in ihren Voraussetzungen wesentlich zuriick auf die politischen Ge- schehnisse und Errungenschaften der letzten hundert Jahre. Das nötigt den Be- trachter des heutigen Island, sie zu studieren. Sie erzwingen dariiber hinaus eine unmittelbare menschliche und politische Anteilnahme: der Kampf des islándi- schen Volkes um seine politische Freiheit ist, in seinen Bedingtheiten gesehen, eine ganz starke Leistung eines Volkes, das mehr als einmal zum Untergang ver- 124

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