Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Side 6
Gegenteil begriinden Islánder wie Dánen ihre heutigen Anspriiche aus der alten
geschichtlichen Rechtslage, die jede der beiden Parteien anders auslegt.
Tatsache ist, dafi Island im 13. Jahrhundert in ein Abhángigkeitsverháltnis zu
Norwegen getreten und dafi bei der spáteren Yereinigung Norwegens mit Dáne-
mark dieses Abhángigkeitsverháltnis auch Dánemark gegenuber erhalten geblie-
ben ist. Die Streitfrage ist, wie dieses Abhángigkeitsverháltnis beschaffen war,
wie in ihm die Rechte und Ansprúche verteilt waren. Die Betrachtung der islán-
disch-dánischen Verháltnisse im 19. Jahrhundert ftihrt also unmittelbar zu dem
Zeitpunkt zurúck, an dem Island seine staatliche Selbstándigkeit verlor.
Die mit der Einsetzung des Aldings im Jahre 930 vollzogene Grúndung des
islándischen Ereistaates1 bedeutet den Abschlufi der Besiedelung der lnsel von
Norwegen aus und den Aufgang eines neuen Volkes und eines selbstherrlichen
Staates. Drei Jahrhunderte úberdauerte dieser Staat ohne grofie innere Erschút-
terungen; die hohe geistige Kultur, die in ihm sich entfaltete, rúckte das kleine
Volk fúr immer in die Reihe der geistigen Máchte der gesitteten Welt. Grund-
legend ftir die Aufrichtung und Erhaltung des eigenen Staatswesens war die
Schöpfung eines eigenen Rechts, das zwar anfánglich an das norwegische Recht
angelehnt, dann aber sehr bald zu ganz den einheimischen Verháltnissen entspre-
chenden Formen ausgebildet wurde. So war die Kolonie neben dem Mutterlande,
dem sie einen grofien Teil der besten Kráfte entzogen hatte, zu einem volklich und
politisch selbstándigen Gebilde emporgewachsen, mit dem Anspruch vollkom-
mener Unabhángigkeit in staatlichen, mit dem Bewufitsein einer Rúcksicht hei-
schenden Úberlegenheit in geistigen und menschlichen Dingen.
Beides wurde von den Norwegern schon frúh bestritten und angegriffen; Island
politisch zu unterwerfen und dem neugegrúndeten Einheitsreiche zuzuordnen
versuchte noch derselbe Harald Haarschön, dessen Politik eben einen Teil des
norwegischen Volkes nach Island getrieben hatte. Seine Nachfolger setzten diese
Versuche fort, der heilige Olaf (f 1030) und Harald der Harte (j 1066), bis den
norwegischen Königen durch die langen Búrgerkriege im eigenen Lande die Hánde
gebunden wurden. Nach der inneren Befriedung des Reiches jedoch nahm König
Hákon Sverrisson den Plan einer Unterwerfung Islands sehr energisch wieder auf.
Die Entwicklung der Verháltnisse auf Island kam ihm entgegen: Hier hatte die
privatrechtliche Behandlung des seit alters auch mit öffentlicher Gewalt ausge-
statteten Grundbesitzes, der Godenttimer, dahin gefúhrt, dafi immer mehr dieser
den Islandern, vor allem mit Jón Sigurdsson hervorgegangen sind. Diese islándischen Sehrif-
ten finden sioh verstreut in Zeitschriften, die damit zu wichtigem Quellenmaterial fiir die Zeit
werden. Eiir den Grundbefund am wichtigsten bleiben naturlich die Berichte des dánischen
Reichstages und des islándischen Aldings und die Akten der Gesetzesvorschláge und der
Gesetze. 1 Vgl. hieruber: S. Nordal: Die Grúndung des islándischen Allthings. Deutsch-
Nordische Zeitschrift, Pestnummer 1929, S. 113ff.
126