Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Side 22

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Side 22
Und warum sollte ich versuchen, dich schlecht zu machen? Sagen, daB du meine Liebe nicht verdient háttest, wo du dich diesem seelenlosen, goldgeschupp- ten Kriechtier in die Arme werfen konntest, auf das ich hinabsah wie auf ein nie- deres Wesen. Welchen Unterschied aber mag wohl die Sonne darin finden, ob sie auf König oder Bettler scheint % Icli will nicht urteilen iiber dich. Ásdis, du bist erhaben iiber alles, was ich sagen könnte iiber dich. Du hast den Nerv meines Willens zerrissen, du hast meine Liebe zu den Menschen getötet, klaffend von Wunden hast du mich verlassen, mit einem Lácheln des Spottes und einer kurzen Bewegung des Kopfes — aber — — — — du warst’s, die es tat! * Die Zeit gleitet fort mit unbarmherziger Ruhe. Wenn das Siebengestirn iiber der Holtskuppe steht, dann ist Mitternacht. Dann hat das neue Jahr begonnen. Dann ist der Wein von Island verbannt. Dann hebe ich den letzten Becher in meiner Hand und trinke den Totentrunk. Dann ist der letzte Lichtschimmer im Leben des Thorir Ketilsson erloschen. Dann ist Thorir Ketilsson tot. Dann hebe ich den letzten Becher in meiner Hand und trinke dir den Toten- trunk, Bacchus. Dionysos lyaios, Sorgenbrecher, Gott des Weines, gekrönt mit rankendem Laub, strahlend in jugendlicher Schöne, umatmet vom siiBen Duft, König der Freude — aus Island verbannt! Keinem anderen als mir selbst kann ich es gönnen, den letzten Becher des Heils dir zuzutrinken, solange noch eine freie Gaststátte in diesem Lande dir gewáhrt ist. Keiner hat dir soviel Gutes zu vergelten wie ich. Du reichtest mir deine Hand, als die geliebte Frau mich von sich stieB. Du warfst einen Schleier uber meinen Schmerz, wenn du ihn auch nicht ganz ver- hiillen konntest. Du bekámpftest den Brand meiner Wunden, wenn du sie auch nicht heilen konntest. Das vermochte keine andere Kraft im Himmel und auf der Erde. Ich brauchte Freunde, und du allein gabst sie mir. Nicht nur, um den Kummer zu betáuben, trank ich, sondern auch um Menschen zu finden... Die Einsamkeit erdruckte mich. Wieder und wieder die gleichen Bilder und immer gleich quálend. Die gleichen Gedanken in endlosem Wirbel. Ich muBte Menschen um mich haben, um meinen Sinn zu zerstreuen. Menschen, die weinen konnten mit mir und lachen, Menschen, die Mut genug hatten, meiner Seele bis auf den Grund zu schauen und ihre Seele mir zu öffnen. Ich suchte sie unter meinen Freunden, ich suchte sie unter meinen Be- kannten, ich suchte sie unter fremden Menschen. Ich klopfte und klopfte. Totenstille. 142

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