Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Side 23

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Side 23
Diese Elenden! Alle wollten sie Mánner sein und wurden docli Schwáchlinge. Alle wollten sie kiihn sein und wagten doch nicht, ihr Bestes an den Tag zu brin- gen. Alle wollten sie starke Menschen sein, und doch fehlte ihnen die Stárke, ihren edelsten Gefiihlen Gefolgschaft zu leisten. Da fiihrte ich sie dir vor die Knie, Dionysos, du löstest ihre Fesseln und liehst ihnen Kiihnheit und Kraft. Erlogene Gefiihle ? Gefiihle, die nicht wirklich da waren ? — Schlugen ihre Herzen nicht höher ? Kam nicht Leben in ihre Ziige ? FloJB ihnen die Rede nicht leichter ? Lockerte sich nicht ihr Lachen und ihre Tráne ? Erlogene Gefúhle ? Nein, gerade dies waren ihre echten Gefiihle. Im gewöhn- lichen Leben waren meine SpieBgesellen nur Studenten, beim Wein aber waren sie Mánner. Da konnte jeder von ihnen in seiner Weise ein inniger Freund sein. Da konnte ick ihnen meine Nöte sagen, und sie nahmen teil daran mit ganzem Herzen. Da sprachen sie vor mir von ihren Bitternissen, und ich fand Trost darin, sie mitfiih- len zu können bis zum Letzten und meine Gedanken damit zu erfiillen. Da konnten sie alle zusammen einen lustigen Haufen bilden, der alle Sorgen hinwegfegte mit Lachen und Fröklichkeit. Wohin wir auch immer kamen, da gab’s Leben im Saal von Lachen und Liedern, von Yersen und Reden. Die Leute schiittelten die Köpfe iiber diese ziigellose Schar. Die Leute begannen mich zu schmáhen, weil ich meine Kameraden zu einem Leben voll Saus und Braus verfiihrte. Alle wuBten, wer das war, der am lautesten lachte und am besten sang, der die meisten Reden hielt und alle Gedichte her- sagte. Sie schworen es mir, meine Freunde, bei all den Trinksprúchen, daB je mehr die anderen mich haBten, sie desto treuer zu mir halten, sie sich desto enger um mich scharen wiirden. Dennoch wurde die Schar immer diinner und diinner, und am Ende stand ick ganz allein. Seither habe ich keine Freunde mehr gehabt. Seither habe ich weder gelacht noch gesungen noch gedichtet. Alle meine Gedichte sind vergessen, der Augen- blick war ihre Wiege und ihr Grab. Seither habe ich einsam und schweigsam mit meinem Kummer gelebt. Du allein, Bacchus, hast mich nicht verlassen. Du bist zu mir gekommen, wo immer ich auch herumirrte. Du hast meine Schande verhiillt und mir neue Tráume und neue Hoffnungen geschenkt, sogar dann noch, als lángst alle Hoffnung auf irgendein Gliick geschwunden war. Jede Flasche, die ich hier auf Gil bekommen habe, ist mir wie eine Gabe göttlicher Gnade gewesen. Sie konnte die Bauernhutte in ein KönigsschloB und meine Bettstatt in einen Thron verwandeln. Und ick konnte tráumen davon, daB das Volk doch noch die ungenútzte Kraft meines Geistes entdecken und mich hinausrufen wúrde auf den Kampfplatz.-------------- 143

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