Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1934, Qupperneq 34
wurden von der französischen Eevolutionsphrase von Freiheit, Gleichheit und
Briiderlichkeit. Wir kennen diese ,,Freiheit“, so wie sie sich jetzt in SowjetruB-
land in Reinkultur auswirkt. Wir kennen die „Briiderlichkeit" vom letzten Welt-
krieg her, und die „Gleichheit“ können wir studieren unter den zehn bis zwanzig
Prozent Menschenkindern, die schon von Geburt an fiir Asyle und Gefángnisse
prádestiniert sind, wenn wir diese Individuen und ihre Abstammung vergleichen
mit den Sippen, die den Norden bauten...
Man verkiindet mit lautem Geschrei, Deutschland habe durch seine neuen
Methoden die Geistesfreiheit ,,geknebelt“. Als ob nicht auch diese Freiheit miB-
braucht werden könnte und miBbraucht worden wáre, eben durch jenen Intel-
lektualismus, der zu einem der zerstörendsten Kráfte der modernen Gesellschaft
geworden ist. Die soziale und moralische Freiheit der Menschen ist gewissen Be-
grenzungen unterworf en—sollte die wichtigste von allen, die Geistesf reiheit, etwa
eine Ausnahme bilden ?
DaB ein Mann in das Haus des Nachbars einbricht und sein Silber stiehlt, fin-
den wir verwerflich. DaB aber ein Mann mit seinen geistigen Produkten in lebende
Menschenseelen einbricht und diese vergiftet, das sollte in der Ordnung sein ?
Es ist in der Tat eine lácherliche Einbildung, daB das Geistesleben das Privi-
legium einer bestimmten Menschenklasse der Intellektualisten sei. Allerdings
wird die Kultur von den wenigen geschaffen, aber die Kultur muB doch vor allem
getragen und bewahrt werden in allen lebendigen Menschenseelen, muB in ihnen
ihren Widerhall finden und ihr Niveau heben. Ohne diese Menschen ist in Wahr-
heit alle Kultur vollkommen vergebens.
Die Kultur ist nicht Vorrecht des einzelnen, sie ist Allgemeingut. Damit ist
nicht gesagt, daB man ihr Niveau senken solle. Wir haben genug von leuchtenden
Beispielen in Kunst und Philosophie, Literatur und Wissenschaft, daB die fein-
sten Werte eben gerade den Weg zu allen Gemuternfinden. Wir mussenbedenken,
daB die Kultur nicht nur von Intelligenz geschaffen wird, sondern auch von
Charakter, nicht nur von Geist, sondern auch von Blut. Hat die Kultur Gehirn
auf dem rechten Fleck, so wird es sich immer zeigen, daB sie auch ihr Blut auf
dem rechten Fleck hat.
Wir sehen, wie die technischen Fortschritte, die Maschinenkultur, ein UbermaB
von Existenzmitteln erzeugt haben und wie gleichzeitig eine wachsende Schar
arbeitsloser Menschen umhergeht, ohne die geringste Möglichkeit, an diesem
ÚberfluB teilzuhaben. Gewaltige Reichtumer werden erzeugt und ftillen unsere
Bibliotheken und Museen, aber auch auf dem Geistesmarkt wáchst die Zahl der
Arbeitslosen, die sich die Werte nicht zunutze machen können. Woher kommt
das ? Das kommt daher, daB die Kulturleistungen sich anháufen und zu schwin-
delnder Höhe wachsen, wáhrend der Menschenstoff selbst an Qualitát keines-
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