Gripla - 20.12.2005, Síða 78
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halb eines thematisch anderen Umfeldes überliefern, mit Kollektaren und
Miszellarien stellen sich grundlegende Fragen: Ist der einzelne Einschub en-
zyklopädischen Materials inhaltlich motiviert? Handelt es sich um eine plan-
voll geordnete Zusammenstellung mit einem erschließbaren Konzept oder
eher um eine zufällige Sammlung von Texten ohne verbindenden inneren Be-
zug, die vielleicht noch dazu von verschiedenen Schreibern, zu verschiedenen
Zeiten zu Pergament gebracht wurden?
Sowohl die Materialität der Handschrift als auch die Inhalte und Aussagen
der versammelten Texte müssen eingehend untersucht und soweit möglich
zueinander in Beziehung gesetzt werden. Von seltenen expliziten Erläuter-
ungen der Leitgedanken bei der Kompilation (etwa in einem Prolog) einmal
abgesehen, läßt sich aufgrund der so gewonnenen Indizien im Hinblick auf die
Ordnungsthese nur eine gewisse Plausibilität erzielen: Es geht nicht um ein
Entweder-Oder, sondern um eine Verortung zwischen dem Wahrscheinlichen
und dem Unwahrscheinlichen. Weder heterogenes Beschreibmaterial noch
verschiedene Schreiberhände z.B. sprechen unmittelbar gegen eine durch-
dachte bzw. einem Konzept folgende Zusammenstellung, nur schwächen sie
eine diesbezügliche Argumentation, da sie Zusatzannahmen nötig machen. Je
mehr kodikologische und textuelle Elemente hingegen sich sinnvoll zuein-
ander in Beziehung setzen lassen und je deutlicher und sorgfältiger die mise
en page bzw. die optische Aufbereitung ausfällt – durch Rubriken, Numerier-
ungen, besondere Initialen, Kolumnentitel, analytische Inhaltsverzeichnisse
etc. –, desto deutlicher zeigt sich die ordinatio des kompilierten Materials als
Resultat sinnbildend-neuordnender oder analytisch-aufbereitender Bemühung-
en (des Kompilators, des Auftraggebers, des Schreibers, der affirmativ eine
Tradition weiterführt).2
Der vorliegende Aufsatz setzt bei der Beobachtung an, daß einige islän-
dische Rechtshandschriften u.a. den Beginn des Johannes-Evangeliums ent-
halten. Es stellt sich die Frage, ob und wodurch das Auftreten des Evan-
gelientextes sowie weiterer Text- bzw. Bildelemente motiviert ist: Läßt sich
ein diesbezügliches Kompilationskonzept wahrscheinlich machen? Und an
welche einheimischen oder europäischen Traditionen und Kontexte knüpft
dieses Konzept an?3
2 Zur Auffassung von ordinatio und compilatio ab dem 13. Jahrhundert vgl. Parkes 1991, bes.
50-55 und 58-61; kritisch dazu Rouse & Rouse 1992.
3 Dabei wird keine Gesamtanalyse der betreffenden Rechtshandschriften angestrebt – die
Frage nach Kompilationsmustern gilt hier der Einbindung nicht-juristischen Materials in
Gesetzeskodices, nicht etwa der Zusammenstellung der Rechtsartikel in den verschiedenen