Gripla - 20.12.2005, Side 83
RECHT UND HEIL 81
Dadurch wird bereits in diesem kurzen Textabschnitt ein enger Bezug
zwischen Gottes Wort und von Menschen erdachten und erlassenen Gesetzen
etabliert. Im Ganzen betrachtet, endet die ursprüngliche Kompilation wie sie
beginnt, mit einer Berufung auf Gott und zudem in Latein, mithin einer der
drei heiligen Sprachen, so daß der Text sinnfällig gerahmt wird: Sua endaz
bok her sem byriadiz iguds nafni. christus scribentem custodiat atque legen-
tem. (105vb).
Allerdings sind die kurzen Texte zu Beginn der Handschrift (4va-5vb, s.
die Transkription im Anhang zu diesem Aufsatz) einem tiefergehenden und
umfassenderen Konzept verpflichtet. Im Alten Testament ist Gottes Wort eine
schaffende Kraft mit nahezu eigenständiger Existenz – griechische Konzepte
sind mit biblischen verbunden, und der lógoß wird so als die göttliche Kraft im
Kosmos definiert, als Gottes Schöpfungsziel wie als der Plan, von welchem
die materielle Welt kopiert ist. Dieser kosmologische Aspekt findet sich in
aller Deutlichkeit auch in der „Einleitung“ der Arnarbælisbók. Der Beginn des
Johannesevangeliums, selbst eine direkte Allusion auf die Eingangsworte der
Genesis, bildet ihren Anfang, das Jüngste Gericht ihr Ende, so daß der
solchermaßen gespannte Bogen die gesamte Schöpfung umspannt, vom
Anfang bis zum Ende der Zeiten.9
Die wichtigste Dimension ist allerdings die heilsgeschichtliche. Die vor-
rangige Bedeutung von verbum im Johannes-Prolog ist Christus, die zweite
Person der Trinität, als Schaffendes Wort seit Ewigkeit Teil Gottes und im
Menschen Jesus Christus Fleisch geworden:
In principio erat Verbum, Et Verbum erat apud Deum, Et Deus erat
Verbum. Hoc erat in principio apud Deum. Omnia per ipsum facta sunt,
Et sine ipso factum est nihil, quod factum est. (Io 1,1-3) etc.
Der so eröffnete heilsgeschichtliche Kontext bezieht notwendig die Mosaische
Gesetzgebung ein, was der Johannes-Prolog direkt im Anschluß an die in der
Arnarbælisbók zitierte Passage expressis verbis zum Ausdruck bringt: Quia
lex per Moysen data est, Gratia et veritas per Iesum Christum facta est. (Io
1,17). Beide Aspekte, lex und gratia, sind in der „Einleitung“ der Arnar-
bælisbók repräsentiert: ersterer durch die Passage über die Mosaische Gesetz-
gebung, letzterer durch die Bitte um Gnade im Gebet. Evident ist auch, daß
der Text über die Wunder vor dem Jüngsten Gericht einen integralen Be-
9 Vgl. Theobald 1997:1026-1029