Gripla - 20.12.2005, Page 90
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Gebet Protector in te sperantium gefolgt sein, denn gemäß dem Ordo Nidro-
siensis, der die seinerzeit für den gesamten westlichen Norden einschließlich
Island geltende Liturgie festhält, wird die Johannes-Evangelienperikope zu
Weihnachten gelesen (In Nativitate Domini ad primam missam + ad tertiam
missam),25 die genannte Oratio hingegen an anderen Tagen (Dominica prima
post Trinitatem + Dominica quarta post Trinitatem).26
Interessant ist das Gebet Protector in te sperantium aus dem Blickwinkel
der Kompilationsanalyse aufgrund der Kombination mit ebenjenen Prologus-
Worten des Johannesevangeliums, weil sich ihre Kombination in der islän-
dischen Rechtshandschrift nicht aus einer etwaigen direkten Verbindung im
Rahmen der für Island geltenden Liturgie erklärt. Warum folgt es in der Arn-
arbælisbók auf die Perikope?
Es läßt sich ein Handschriftengenre aufzeigen, für welches diese Kom-
bination geradezu typisch ist: das Stundenbuch.27 Dieser Buchtyp bildete sich
im Laufe des 13. Jh.s aus, verdrängt zunehmend den Psalter als dominie-
rendes allgemeines Gebetbuch und erlebt seine Blüte ab dem späten 14. Jahr-
hundert.28 Stundenbücher beginnen mit einem Kalender, an den sich zumeist
vier Evangelienperikopen anschließen (zunächst Johannes 1,1-14, dann Lukas
1,26-38 (Verkündigung), Matthäus 2,1-12 (Anbetung der drei Weisen) und
Markus 16,14-20 (Auferstehung, Himmelfahrt)),29 verschiedentlich zudem
noch ganz oder teilweise Joh. 18,1-19,38 (Passion), so daß ein Bogen von der
Inkarnation bis zur Himmelfahrt geschlagen wird. Üblicherweise folgt auf die
Perikope des Johannesevangeliums die Oratio Protector in te sperantium. In
einigen Fällen wird diese Oratio im liturgischen Zusammenhang mit vorge-
cruce und die Missa de sancta virgine folgen. Daran schließt sich ein durch eine Miniatur
(Christus am Kreuz, 5va) eingeleiteter Kanon sowie lateinische Gebete an. Laut Kålund 1889
(Bd. 2:162 f.) war AM 733 4to ursprünglich mit AM 322 fol und AM 114a 4to verbunden.
25 Ordo Nidrosiensis:153 und 155.
26 Ordo Nidrosiensis:269, nach A (AM 679 4to), eine andere isländische Handschrift (D = AM
791 4to) setzt diese Oratio für die Dominica tertia post Trinitatem an, siehe ebd. den
Lesartenapparat sowie Fußnote 3; vgl. auch Ordo Nidrosiensis:103.
27 Vgl. Perdrizet 1933:24 f.
28 Thoss 1997:259, vgl. a. Wieck 2001b und Wieck 1997.
29 „Following the Calendar the first text proper in a Book of Hours is a series of Gospel Lessons
by the four evangelists. Although not always found in Horae of the thirteenth and fourteenth
centuries, by the fifteenth these Lessons had become a regular feature“ (Wieck 2001a:488).
Vgl. auch Wieck 2001b:55-59.