Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1925, Síða 11

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1925, Síða 11
ten. Denn es gab keine Schulen auDer in Reykjavík und einem oder zwei Handelsplátzen. Trotzdem lernten alle zu Hause lesen. Aber mit groBen. Schwierigkeiten war es verbunden, etwas zu lesen zu bekommen. Die alten Sagas waren nirgends káuflich und sehr schwierig war es, sie geliehen zu bekommen. Es gab eine modeme islándische Erzáhlung — Knabe und Mádchen von J ón Thoroddsen — und vor 50 J ahren waren zwei Ausgaben des Buches verkauft und nur verháltnismáBig wenige konnten sie bekommen. Alte Mitglieder der literarischen Gesellschaft besaBen einige Gedichtsamm- lungen, die aber niemand kaufen konnte. Die Volksmárchen des J ón 'Ama- son sind mit Ausnahme einiger Erbauungsbiicher vielleicht das beliebteste Buch auf Island gewesen und waren von der literarischen Gesellschaft heraus- gegeben. Diese wurden mit solcher Gier gelesen, daB so gut wie kein Exemplar iibrig war. So groB war dieser Biicherhunger, daB es nicht selten vorkam, daB Deute die Bucher abschrieben, die sie sich entlehnt hatten, wenn sie ihnen gefielen. Als kleiner Junge hörte ich von einem Manne sprechen, der 15 Jahre mit dem Abschreiben eines Buches bescháftigt war. Wenn ich an die enormen Schwierigkeiten denke, mit denen die Leute auf Island vor 50 Jahren zu kámpfen hatten, dann ist es mir tatsáchlich ein Rátsel, wie sie dazu kamen, soviel zu wissen, wie sie auf manchen Gebieten tatsáchlich wuBten. Alle Wege zur Bildung waren so gut wie verschlossen. Aber es gab verháltnismáBig viele, denen man sie einfach nicht verschlieBen konnte. So kannte ich in meiner Jugend ein Dienstmádchen, das in den beschránktesten Verháltnissen aufgewachsen war. Sowie sie alt genug war zur Arbeit zu gehen, nahm sie einen Dienst bei fremden Leuten an. Sie hatte eine solche Kenntnis und solches Verstándnis fúr die alten Eieder und Rímurdichtung, daB mancher gelehrte Islánder sie damm hátte beneiden können. Die Gelehrsamkeit, die die Snorra Edda auf diesem Gebiete ent- kalt, hatte sie irgendwie in ihren Kopf gebracht und sie auch verstanden Uud hatte sie stets bereit. Es gab auch auf anderen Gebieten gar nicht so ^enige ungelehrte Spezialisten. Dieses eigenartige kleine Volk hatte keine Gewalt úber sein eigenes Hab Und Gut gehabt. Es war bitterlich arm und muBte beinahe auf alles ver- Z1chten, was anderen Kulturvölkern von selbst in den SchoB fiel. Aber in soiner Seele lebte eine unwiderstehliche Sehnsucht nach Bildtmg, ein leiden- schaftliches Sehnen hinaus tiber die ármlichen táglichen Arbeiten, und ich darf wohl sagen, besondere Begabung nach der literarischen Seite. Aber die ■Bcute hatten keine Ahnung von Geldsachen, sie verstanden nur auf ihrer ^cholle zu wohnen in einer sehr primitiven Art und so sparsam zu leben, daB ihnen die Schulden bei den Kaufleuten nicht úber dem Kopf zusammen- schlugen. H

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