Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1925, Síða 14
Wir sprachen von der Abhángigkeit der Arbeitnehmer. Diese Ungerechtig-
keit ist selbstverstándlich lángst verschwunden. Uberhaupt wiirden die Fort-
schritte auf dem Gebiet der Humanitát, Gerechtigkeit und Wahrheit ein
eigenes Buch fiillen.
Das Unterrichtswesen hat sich sehr verándert. Damals gab es so gut wie
keine Schulen. Jetzt hat der Staat die Verpflichtung, den Kindern im Alter
von io—14 Jahren Unterricht zu beschaffen. Es gibt eine ausgezeichnete
Lehrerschule und einen tiichtigen Lehrerstand. Gberall, wo es irgendwelchen
Unterricht gibt, ist es gedrángt voll. Z. B. werden jáhrlich um die Hálfte
mehr junge Leute Studenten als vor 15 Jahren. Die meisten beziehen unsere
junge Universitát. Es ist ein Ruhm fur dieses kleine Völkchen, das in der
Hauptsache aus Bauern und Fischern besteht, Mut und Weitsicht genug
gehabt zu haben, um eine Universitát zu griinden, die fúr unsere Finanzen
zweifellos recht teuer ist.
Es fehlt nicht an Leuten, die diesen starken Zustrom zu Lateinschule und
Universitát fúr bedenklich halten; man hat auch schon daran gedacht, hier
einen Riegel vorzuschieben. Ich glaube nicht, daB es dazu wirklich kommen
wird, dies Streben nach Bildung wird sich das islándische Volk nicht be-
schneiden lassen. Ich meine, wir werden den entgegengesetzten Weg gehen;
wir werden unsere Universitát so ausgestalten, daö sie das Volk im Kampfe
um die Existenz unterstútzen kann. Dafúr empfiehlt der gegenwártige
Rektor Guðmundur Hannesson eine landwirtschaftliche Fakultát (nach dá-
nischem und kanadischem Muster) und eine fúr den Fischfang; das scheint
mir der vemúnftige Weg fúr meine Landsleute.
Der Búchermangel, von dem ich sprach, ist vorúber. Eine neue Literatur
ist in Island erwachsen. Wie sie in der Welt beurteilt werden wird, wenn sie
da jemals bekannt wird, weiö ich nicht. Das geistige Leben Islands scheint
die Neigung zu haben, auf verschiedenen Gebieten seine eigenen Wege zu
gehen. So haben wir unsere Kirche zur umfassendsten und freisinnigsten
Volkskirche der Welt gemacht. Auch unsere Literatur scheint ihre eigenen
Wege gehen zu wollen, aber ich meine, zu groöem Teil tritt da hervor, was
im Volk sich regt. Von Búchern, die man úberhaupt lesen will, kann man
auf einen Absatz von ungefáhr 2000 Exetnplaren rechnen; das entspráche
einer Auflage von 60 000 bei den Dánen. Von manchen Werken sind viel
mehr abgesetzt worden. Die „Dornen" von Þorsteinn Erlingsson, die kurz
vor der Jahrhundertwende erschienen sind und dann in zwei weiteren ver-
mehrten Auflagen, sind jetzt in 7000 Exemplaren verkauft. Diese Zahlen sind
beachtenswert, man kann aus ihnen etwas úber das islándische Volk lerneu-
Wenn jemand vor 50 Jahren davon gesprochen hátte, daö wir eine islau-
dische Bildhauerei und Malerei bekommen wúrden, hátte man wahrscheinlich
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