Gripla - 20.12.2005, Síða 103
RECHT UND HEIL 101
Die Bildprogramme der Kodices picturati stützen dies Konzept. In der 1336
beendeten Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels55 befinden
sich auf dem ersten Blatt zusammen mit dem Prolog drei Szenen heilsge-
schichtlichen Inhalts. Oben sieht man den Verfasser Eike auf einem hohen
Stuhl sitzen; eine Taube symbolisiert die Inspiration durch den Heiligen
Geist.56 In der Mitte befindet sich eine Weltgerichtsszene: Christus weist auf
den Höllenrachen und überreicht einem König ein Schwert, das die
richterliche Gewalt symbolisiert. Damit korrespondiert dieses Bild direkt mit
einem Kernsatz des Prologes: Got ist selber recht. Dar umme ist im recht lip.
Der Sachsenspiegel bindet also die Bilder, darunter das Autoren- und das
Königs- bzw. Kaiserbild, in einen heilsgeschichtlichen Zusammenhang ein,57
ganz so wie die Arnarbælisbók das Olafsbild. Das Bild des thronenden Königs
Olaf visualisiert zugleich den an sich abstrakten Begriff der Herrschaft und
über diesen auch die gottgegebene Herrschaftsordnung.58 Schmidt faßt diese
Interdependenzen von Text- und Bildelementen und ihr Zusammenwirken im
Sinne eines tiefergehenden Konzeptes prägnant zusammen:
das Verhältnis von Kaiser und Papst, von Imperium und Sacerdotium,
[wird] in jenen Abschnitten des Rechtsbuches behandelt [...], die
historische Zusammenhänge beleuchten oder prinzipielle Fragen der
Weltordnung betreffen. Diese Ausführungen werden vom Sachsen-
spiegler als notwendig erachtet, um die Rechtsordnung der Sachsen
innerhalb der geschichtlichen Wirklichkeit, d.h. im Ablauf der Ge-
schichte von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, ja bis zu ihrem Ziel,
verständlich werden zu lassen. Die Geschichte der Sachsen ist für Eike
wie für seine Zeitgenossen ein Stück nicht nur der Geschichte des
Reiches, des römisch-deutschen Imperiums, das seinerseits als ein
55 Codex picturatum Oldenburgensis CIM I 410, Landesbib. Oldenburg, s. Schmidt-Wiegand
1999:397.
56 „Die Legitimation eines Textes, die Bestätigung seiner Glaubwürdigkeit und Rechtmäßigkeit
kann in Rechtsbücherhandschriften durch ein Autoren- oder Kaiserbild unterstützt werden,
das einem Prolog oder einer Vorrede als ganzseitige oder spaltenbreite Miniatur oder in Form
einer historisierten Initiale beigegeben ist. Diese Abbildungen stehen meist in einer be-
stimmten ikonographischen Tradition, die bis in die Spätantike zurückreicht und im Fall des
Autorenbildes durch das Evangelistenbild mit der Taube als Zeichen der göttlichen Inspira-
tion in das christliche Mittelalter überführt worden ist.“ etc. (Schmidt-Wiegand 1999:393,
vgl. Wachinger 1991:1-28: 11).
57 Schmidt-Wiegand 1999:398, unter Verweis auf Drescher 1989:23-36.
58 S. Kocher 1992:66.