Die Stimme - 01.02.1947, Blaðsíða 9
DIE STIMME
7
I, 1.
odcr Wcst“ ignorieren, oline damit
eincm der Partner wehe zu tun. Im
Gegenteil, sie können zum Welt-
fricden nur dann beitragen, wenn
sie diese Fragestellung gegenstands-
los maclien. Und dies geschieht da-
durcli, dass sic eine gescheite Form
des Sozialismus verwirklichen.
Waffenlos, gutherzig und wohlge-
schult werden die Deutsclien als
Volk der Mitte von Bestand sein.
Abseits der Arena der harten po-
litisclien Kámpfe habe ich Erfah-
rungen gesammelt. Ðaruber spreche
ich niclit aus Uberbeblichkeit son-
dern in dcr Hoffnung, dass sic fur
andere von Nutzen sein möchten.
Icli habe aufgehört, dic Menschcn
zu krilisicren. Denn jeder Mcnsch
hat ein Bewusstsein dafiir, was
recht und unrecht ist. Die Mensclien
zu veracliten und wcgcn ihrer Fehl-
griffe zu beschimpfen, fiihrt zu
Hass, Kricg, Vernichtung. Die Men-
schen zu lieben und ihnen die Frei-
hcit zu lassen, fiihrt sie iiber kurz
oder lang zur Selbstkritik. Ich halte
Selbstkritik fiir cinen aufbauenden
Faktor dcr menschlichen Gesell-
schaft.
Meinc eigenen Fehler will ich
nicht verschweigen. Am politischen
Leben habe ich zu gcringen Anteil
genommen. Gegeniiber meinen Geg-
nern habe ich mich nicht richtig
verhalten. Ich habe sie missver-
standen und unterschátzt. Ich habe
meine Anschauungen nicht prázis
gcnug ausgedruckt. Ich habe ihrc
guten Absichten und Handlungen
nicht gesehen und nicht anerkennen
wollen. Als Sozialist habe ich die
Ansicht vertreten, dass nur Partei-
mitglieder gut und richtig handeln
können. Als Sozialist sehe ich heute,
dass tiichtige Menschen aller Stánde
und Nationen an der Unterbauung
des Sozialismus teilnehmen. Meine
eigenen Anschauungen habe ich als
unfehlbar bctrachtet. Meine Gegner
hielt icli fur böswillig und darum
bekámpfte ich sie. — Dcr Endeffekt
aller meiner Fehler und Versáum-
nisse war, dass dieser letzte, schreck-
liche Krieg möglich wurde. Indirekt
habe ich selbst zu diesem Kriege
gehetzt. Icli war der Ansicht, dass
der Krieg ein Mittel sei, böse Ideen
zu vernichten, um guten Ideen zum
Sicgc zu verhclfen. Ich habc gc-
meint, dass der Krieg zu rechtfer-
tigen sei, wcnn die Kanonen fiir
méilie Ideén kámpfen. Icli habe tal-
sácblicb geglaubt, dass Militár Macht
sci, und dass Siegc Sichcrheit gc-
wáhren. Ich habe geglaubt, dass
alle Generále begabt und alle Staats-
mánner intclligent seien. Und ich
habe gemeint, dass nacb dem Kriege
Frieden káme. Welch fundamentale
Irrtiimér — und wie verheerend
sind die Folgen.
Der Krieg ist seit mehr als einem
Jahre voriiber. Aber wir leben noch
nicht im Frieden. Es ist Krieg im
Frieden. Jctzt geht es um die Seelen
der Menschen. Jetzt geht es um den
Bestand der gesamten Menschheit.
Heute bereits sind die Menschen
nicht mehr eingeteilt in Nationen
Klassen oder Stánde. Sie sind ein-
geteilt in zwei Gruppen. Die erste
hált einen dritten Weltkrieg fuir un-