Die Stimme - 01.02.1947, Blaðsíða 15
DIE STIMME
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I, 1.
ÍÍBER DIE IJRSACHEIM DER DEIiTSCHEN
NAHRIJIMGSIVIITTELNOT
Der Hunger in Deutschland ist
heute so schrecklich, dass alles
Menschenmögliche getan werden
muss, um Nahrungsmittel nach
Deutschland zu schaffen. Zum
Gliick sind nun die Stimmen selir
diinn geworden, die in einer Aus-
hungerung des deutschen Volkes
ein göttliches Mittel der Gerechtig-
keit erhlicken. Selbst falls sich bei
den demnáchst zu erwartenden
Friedensverhandlungen iiber Deut-
schland der Standpunkt der kollek-
tiven Schuld des deutschen Volkes
(den ich abgelehnt hahe) durchset-
zen sollte, ist einc Beihehaltung der
Belsenrationen fiir die sechzig Mil-
lionen Deutschen in keiner Weise
zu rechtfertigen. Kein Strafgeselz
der Welt (wir wollen vom Nazi-
“reclit” ahsehen) gestattet die Hin-
richtung des Verurteilten durch
Hungertod. Der Strafvollziehende
ist verpflichtet, den Schuldig ge-
wordenen menschenwiirdig zu er-
náhrén.
Wáhrend des Krieges war es mög-
lich, Millionenarmeen iiber tausen-
de von Kilometern liinweg mit aus-
reichender und guter Nahrung zu
versehen. Und mehr noch. Es war
möglieh, tausendc Ton von unpro-
duktivem Ivriegsmaterial zu beför-
dern. Es war möglich, trotz dauern-
der Zerstörungen von Vorráten und
Transportmitteln den Lebensstan-
dard der Völker auf ertráglicher
Ilöhe zu halten. Ich verkenne die
Tatsaclie niclit, dass der Krieg die
Produktion von Lebensmitteln in
vielen Lándern erheblicli verringert
hat und damit den Standard ge-
senkt und vielerorts Hunger her-
vorgerufen hat. Aber ich begreife
nicht, warum sich die Ernáh-
rungslage in Deutschland eineinhalh
Jahre nach Kriegsende noch immer
verschlechtert.
In der sozialdemokratisclien Zei-
tung “Hamburger Eclio” vom 28.
August 1946 steht ein Artikel unter
der Ubersclirift “Die Ursaclien un-
serer Nahrungsmittelnot”. Dieser
Artikel ersclieint, wie es in der Eiri-
leitung heisst, auf Veranlassung der
britischen Militárregierung. Er er-
scheint “mit Biicksicht auf die weit-
verbreitete Unkenntnis der wirk-
lichen Griinde fiir die gegenwártigc
Leliensmittelknapplieit”.
Es wird darauf liingewiesen, dass
die Erzeugung von Lehensmitteln in
vielen Lándern zuriickgegangen isl
und war erheblich. Es wird ausge-
fuhrt, dass die britische Zone spe-
ziell Zuschussgebiet ist. Es wird her-
vorgehoben, dass die Welt erst ein
einziges Jalir einer normalen Ernte
hinter sich hat. Ich bezweifle nicht
die Bichtigkeit der gemachten Aus-
fúhrungen. Am Schluss dieses ersten
Artikels wird aufgezáhlt, welche
Lebensmittelmengen seit der Be-
setzung in die britische Zone einge-
fúhrt worden sind. Demnach hat
die britische Regierung insgesamt