Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1931, Blaðsíða 21
regimg gesteigert. In Reykjavík fanden Umziige und Zusammenrottungen statt,
aus dem ganzen Lande wurden bewegte Versammlungen und Entschlieöungen ge-
meldet. DaB „Unruhen ausgebrochen" seien, war jedoch nur eine der bekannten
Ubertreibungen festlandischer Zeitungen.
Die Regierung der Fortschrittspartei hat sich zu diesem Schritt bewegen lassen,
nachdem ihr die Sozialistenpartei, auf die sie bisher ihre Stimmenmehrheit im Parla-
ment stiitzte, das Vertrauen entzogen und sich bereit erklart hatte, fiir den MiB-
trauensantrag gegen die Regierung zu stimmen, den die Opposition (die Selbstan-
digkeitspartei) am 14. April einbringen wollte. Zu Beginn dieser im ganzen Lande
mit groBer Spannung erwarteten Sitzung, bevor der MiBtrauensantrag eingebracht
war (!)• verkiindete der Ministerprasident Tryggvi Þorhallsson, daB die Regierung
im Hinblick auf den geplanten MiBtrauensantrag und die Unwahrscheinliclikeit einer
neuen Regierungsbildung dem König den Vorschlag gemacht habe, das Alding auf-
zulösen und bis zu den Neuwahlen die alte Regierung mit der Weiterfíihrung der
Geschafte zu betrauen; der König habe daraufhin auf telegraphischem Wege die Auf-
lösung angeordnet, die mit dieser Verkilndung in Kraft trete.
Von der Opposition wird die MaBnahme hingestellt als ein Versuch der Regierung,
an der Ablegung der Rechenschaft vorbeizukommen und eine Diktatur (I) aufzu-
richten, auBerdem wird die zu diesem Zeitpunkt und unter den vorliegenden Um-
standen betriebene Auflösung des Aldings als ein Bruch der Verfassung gebrand-
markt. Diese Behauptung hat eine interessante verfassungsrechtliche Auseinander-
setzung hervorgerufen; der Standpunkt der Opposition wird von Professor Einar
Arnórsson, dem bekannten Juristen an der Hochschule Islands, vertreten, die Re-
gierungsseite stútzt sich auf den danischen Staatsrechtler Knud Berlin. Es handelt
sich nicht, wie zuerst vielfach angenommen wurde, um eine frúhere SclilieBung des
Aldings (Þingslit), die nach Artikel 18 der Verfassung nur erfolgen darf, wenn der
Etat verabschiedet ist, was er in diesem Falle noch nicht war. Was geschehen ist, ist
ein .þingrof', eine vollkommene Auflösung des Aldings. Hierzu ist der König nach
Artikel 20 der Verfassung ermáchtigt, wenn triftige Grúnde vorliegen. Der Streit
geht nun um die sinngemaBe Stellung dieser Artikel in der Gesamtverfassung und
um ihr Verháltnis zu der besonderen Lage des Aldings und den gewohnheitsrecht-
lichen parlamentarischen Gepflogenheiten. Ein objektives Urteil ist hier im Augen-
blick noch nicht zu gewinnen. Offenbar ist jedoch eine gewisse Gewaltsamkeit der
Regierungshandlung, wodurch sie ebenso wie durch ihr Zurúckgreifen auf die Macht-
befugnis des im fernen Dúnemark weilenden Königs viele Sympathien im Lande ver-
loren zu haben scheint. Die bei dieser Gelegenheit wieder aufgeschúrte Diskussion
úber das Verhaltnis Islands zu Dánemark und zur Monarchie hat vor allem im Lager
der Selbstándigkeitspartei sehr scharfe Formen angenommen. In einer Versamm-
lung des Reykjavíker Akademikerbundes wurde u. a. diese EntschlieBung angenom-
men: ,,Da die Ereignisse der letzten Tage gezeigt haben, daB es möglich ist, die könig-
liche Gewalt gegen die Mehrheit des Aldings zu gebrauchen, fordert der Reykjaviker
Akademikerbund, daB das islándische Reich so schnell wie möglich zur Republik ge-
macht wird."
Der nach der Auflösung des Aldings von seiten der Opposition erhobenen Forderung
auf sofortigen Rúcktritt der Regierung wurde soweit stattgegeben, daB durch könig-
lichen ErlaB vom 20. April der vielumkámpfte Justizminister Jónas Jónsson frá
Hriflu und der Finanzminister Einar 'Arnason ihres Amtes entbunden wurden, wáh-
rend der Ministerprásident mit der Weiterfúhrung seiner frúheren und der Gescháfte
der beiden enthobenen Minister beauftragt wurde. Neuwahlen, die sowieso Anfang
Juli hátten stattfinden mússen, sind jetzt auf den 12. Juni festgesetzt.
Ende Mai R. P.
NACHTRAG. Die Wahlen, die inzwischen stattgefunden liaben, haben ein úber-
raschendes Ergebnis gebracht: Die Regierungspartei, der Framsóknarflokkur, hat
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