Íslenzk tunga - 01.01.1961, Blaðsíða 50
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ULRICH GRÖNKE
der dem einen wie dem anderen Einzelglied allein nicht eignet. Móðir
und móðurmynd sind nach Bedeutung und Affektwert deutlich von
einander unterschieden.
Das zweite Glied kann man wohl inhaltlich definieren — etwa als
‘unvollkommenes Abbild’ — aber eben nur als Kompositionsglied.
Es ist also nicht völlig verdunkelt, wie etwa Wand in Leiivwand, aber
jedenfalls kann es als Simplex nicht die Zusammsetzung vertreten.
Im Sinne synchronischer Sprachbetrachtung ist es daher wohl an-
gangig zu sagen, dass móðurmynd móðir sei und durch mynd modi-
fiziert werde. So ware denn auch Leinwand Leinen, denn nur durch
das Studium der Bedeutungsentwicklung erhellt, dass Wand hier
eigentlich Geflecht, Gewehe bedeutet und sich daher als das Grund-
wort erweist.
Die Zusammensetzungen mit mynd erinnern, wenigstens ausser-
lich, an das deutsche Mannsbild und Weibsbild. Hier sind wir nun
iiber Ursprung und Bedeutungsentwicklung der Zusammensetzungen
gut unterrichtet.17 Sind vom Standpunkt der gegenwártigen Sprach-
situation aus Mannsbild und Weibsbild affektstarke Varianten von
Mann und Weib, so wissen wir, dass diese Zusammensetzungen von
Haus aus gewöhnliche Determinativkomposita sind, in denen das
erste Glied das zweite bestimmt.18 Ich vermute, dass es bei rnóður-
mynd usw. nicht anders sein wird. Die meisten dieser Zusammenset-
zungen werden natiirlich Analogiebildungen zu einem Modellfall
sein. Der Modellfall könnte sich als eine ííbertragung einer realen
Zusammensetzung entpuppen (s. o.). Einen solchen Modellfall zu
finden, Belege erster Anwendung zu entdecken, die Vorgánge der
Adáquation aufzuspuren, wurde Licht in die Sache bringen.
Das Deutsche mit seinen Zusammensetzungen Weibsbild, Manris-
bild, dazu Weibsstiick, Weibsmensch, Weibsperson, Mannsperson
gibt immerhin gewisse Anhaltspunkte. Fassen wir mynd als Gestalt,
17Siehe Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, XIV (Leipzig
1955), 9. v. Weibsbild, Sp. 441—447; VI (1885), s. v. Mannesbild, Sp. 1578.
1K Es fehlt auch nicht an Belegen fiir den Gebrauch von Bild allein im Sinne
von Weibsbild. Siehe Grimm, Wörterbuch, XIV, 9. v. Weibsbild, 1, Sp. 443.