Mitteilungen der Islandfreunde - 01.07.1919, Side 4
Die Flasche Schaumvveia, die dann zur Feier der geschichtlichen Státte aus
der Tiefe seines Mantels hervorstieg, gehörte mit dazu.
BjörnMagnússon 'Olsen war einer der gewichtigsten islándischen Forscher,
ein Lelirer seiner Nation, auf dessen Stimrae man hörte, ein feuriger Vater-
landsfreund, ein verehrter Senior und Vertreter des islándischen Geistes-
lebens nach innen und auBen. Sein Dand hat Unersetzliches an ihm ver-
loren: Mánner von so weitspannender Kultur, so hohem Gelehrteusinn und
so kerniger Mánnlichkeit sind dúnn gesát, und das júngere Geschlecht strebt
auf andre Menschentypen los.
Der Verstorbene war ein Vollblutphilologe: da, wo der Sprach-, der Sacb-
und der Formforscher den gemeinsamen Ausgangspunkt haben, da wurzelte
er fest und tief; nach fast allen Seiten drang er vor, ohne daB man se'nc
Sonderart die des Grammatikers oder Archáologen, des Historikers oder
Literaturforschers (im engeru Sinne) nennen möchte. Erláuterung schwie-
riger Gedichtstellen, quellenkritische Zerlegung von Texten, auch rechnungs-
máBige Behandlung von Realia (Geldwáhrung, Einwohnerzahl), dies war
seine Stárke. Sein bohrender Scharfsiun ging möglichst auf den logischen
ScliluB aus; er konnte eine literargescliichtliche Frage, wie etwa die Ent-
stehung der Sagakunst, als Syllogistnus behandeln, mit MiBtrauen gegen
die zu erfúllenden Wahrscheinlichkeiten. Sein Bedúrfnis nach klar auf-
gehenden Rechnungen fúhrte ihn mitunter nahe an den Satz: Was wir nicht
habeu, hat .nicht bestanden. Er konnte der Neigung erliegen, eine Dichtung
wie die Völuspá auszupressen, als wáre sie ein Wirklichkeitsbericht, eine Art
Chronik; die Lúcken ihrer Farbenflecke mit allzuviel pragmatischen Binde-
stoff zu fúllcn. Darin lag eine seiner Schranken.
Wo seine logische Anlage zu der Aufgabe stimmte, hat er Bleibendes ge-
schaffen. Meisterhaft ist die Reihe der Aufsátze úber verschiedene Familien-
geschichten in ihrem Verháltnis zutn Landuámabók. Uberhaupt hat die
neuere Sageforschuug auf Schritt und Tritt an seine Ergebnisse anzuknúpfen-
Seine Untersuchung der Guunlaugs saga ist die pliilologisch grúndlichste,
die wir zu einer Islándergeschichte haben. Fúr Snorri als Verfasser der
Egils saga hat er starke Grúude beigebracht. Besonders glúcklich betátigte
sich seine Geistesrichtung in dem zwingenden und folgenreichen Nachweis,
daB die vieluindeutete literarische Stelle des Sturlungasaminlers kein Zeugnis
ist fúr Sagaschreibung vor 1200. Dem Sammelwerke der Sturlunga hat
Björn Magnússon 'Olsen die gröBte seiner gedruckten Arbeiten gewidmet:
er hat diese labyrinthische Masse georduet und entstehungsgeschichtlich
beleuchtet; ein Triumph seiner emsigen, tief grabenden Kritikerhand. Fúl
sich steht der Versueh úber Islands Bekehrung, worin Björn Magnússon
'Olsen Rankesche Gleise geht und eine tiefe politische Weisheit der islán-
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