Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.2010, Blaðsíða 107
Liebe und Durst
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sische Dominikaner Alan de la Roche (1428-1475) in seiner Schrift De
relationibus iiber den heiligen Dominikus berichtet. Dieser håbe sich
nach erfolglosen Predigten gegen die Albingenser in Toulouse in die
Wildnis zuriickgezogen und sei durch Marias Milch fur seine Aufgabe
gestarkt worden.8° Von physischem Durst ist allerdings schon friih
in der Vita des deutschen Mystikers Heinrich Seuse (1295—1366) die
Rede.81 Als dieser im Zuge seiner rigorosen Selbstkasteiungen den
Wasserkonsum auf ein Minimum beschrankt und er deshalb eines
nachts grofien Durst verspiirt, erscheint ihm die Gottesmutter und
trankt ihn mit ihrer Milch. Auch diese Starkung hat dann als wei-
tere Folge, “daft die Lehre, die von seinem Munde geht, fiirderhin
viel begehrlicher und feuriger zu horen sein wird als vorher.” (Vita,
Kap. xviii).82
Es gabe also in der Uberlieferung durchaus Beispiele dafur, dafi
Maria den physischen Durst ihrer gluhendsten Verehrer durch eine
giitige Milchspende loschen kann, und der islandische Autor hatte
dies auf Bernhard ubertragen konnen, von dem die Lactatio reich
bezeugt ist, wenn auch nicht in dieser Auspragung. Es bietet sich aber
noch ein anderer Kontext als Inspirationsquelle an. Wie im Folgenden
genauer dazulegen ist, hat der Islander fur seine Bernhardsvita auch
eine Predigt Bernhards zum Festtag ‘Maria Geburt’ (De aquaeductu)83
herangezogen. Darin spielt das Motiv der Sattigung (satietas) eine
zentrale Rolle.84 Diese ist unter Hinweis auf Stellen des Alten und
Neuen Testaments den Gerechten im himmlischen Reich verheifien
Satiabor cum apparuentgloria tua (‘Ich werde gesattigt werden, wenn
80 Marraccius 1855, Sp. 777; vgl. Giinter 1906, S. 181 f.; Eich 1953, S. 141.
8lBihlmeyer (Hg.) 1907 (Von dem abbrechen des tranks, S. 46—53); vgl. Eich 1953,
S. 141 f.
82 “daz sin lere, du von sinem munde get, vil begirlicher und lustiger nu furbaz wirt
zu horene denne vor.” (Bihlmeyer (Hg.) 1907, S. 50); Lehmann (Hg.) 1911, S. 42 f.
83 In nativitate Beatae Mariae (Winkler (Hg./Ubers.) 1997, S. 620—647).
84 Kap. 1, Winkler (Hg./Ubers.) 1997, S. 620/621.