Jökull - 01.12.1983, Blaðsíða 27
Deutsche Islandforscher im 19. Jahrhundert —
Begegnungen in der Gegenwart
M. SCHWARZBACH
Geologisches Institut der Universitet Köln, B. R. D.
Einleitung
Bei zwei islándischen Naturwissenschaftlern
steht die geschichtliche Seite ihrer Forschung ganz
besonders im Vordergrund: bei Thorvaldur Thor-
oddsen und bei Sigurdur Thórarinsson. Das Primat
des Historischen ist durchaus verstándlich im
’Gelobten Land der Vulkane’ (um den Norweger
Amund Helland zu zitieren): hier haben die
Bewohner von Anfang an alle historischen Beg-
ebenheiten, einschliesslich der Naturereignisse,
getreulich aufgeschrieben. Aufeiner solchen histor-
ischen Grundlage entstand die 1925 posthum ver-
öffentlichte ’Geschichte der islándischen Vulkane’
von Thoroddsen, und um 1940 begrundete der zwei
Generationen jiingere Thórarinsson die scharf-
sinnige Methode der ”Tephrochronologie” in
Island, die aus der geologischen Erforschung des
Landes nicht wegzudenken ist. Thórarinsson hat
auch sonst immer wieder die Bedeutung der alten
Forscher hervorgehoben; seine Lebensbilder von
Sveinn Pálsson und Thorv. Thoroddsen sind treff-
liche Beispiele daftir. So mag ein kleiner Ruckblick
auf nichtislándische Islandforscher ein passender
Beitrag ftir eine Festschrift sein, die einem Islánder
zu seinem 70. Geburtstag gewidmet ist.
Es ist nicht möglich, in engem Rahmen alle diese
Islandforscher des 19. Jhd. zu betrachten. Wir be-
schránken uns daher auf Naturforscher aus
Deutschland und im wesentlichen aufdie Geologen
(im weitesten Sinne). Die Geowissenschaftler sind
(zahlenmássig) die háufigsten Naturforscher in
Island. Nur am Anfang soll ein Nichtgeologe, ein
Ornithologe, stehen, da er die Reihe der mittel-
europáischen Islandforcher chronologisch anfiihrt.
Mit der Titelbezeichnung “Begegnungen in der
Gegenwart“ ist gemeint: Sind es Forscher, die noch
irgendwie — wenigstens fíir die Fachgenossen - in
lebendiger Erinnerung sind? Oder sind es “Namen,
die heute keiner mehr kennt“?
Friedrich August Thienemann
Der eben schon erwáhnte Ornithologe ist Fried-
rich August Thienemann (1793-1858), ein junger
Arzt, der 1820-21 in Island reiste, Sein Reisebericht
erschien 1827 in Leipzig, “wobei vorzuglich das
Streben obwaltete, unbefangen und getreu die
Sachen darzustellen.” Áusserlich unterscheidet
sich die Reise bemerkenswert von den Fahrten
spáterer Forscher: er verbrachte neben zwei
Sommern auch einen Winter in Island, hatte seinen
Hauptstandort nicht in Reykjavik, sondern im
Norden, und war nebenbei auch als hilfsbereiter
Arzt tátig. Sogar an Star-Operationen wagte er
sich, obgleich er das vorher niemals selbst prakti-
ziert hatte.
Thienemann lebte spáter seinen ornithologischen
Neigungen in Dresden. Sein Whon- und Ster-
behaus in dem Vorort Trachenberge blieb erhalten;
seine Eier- und Nestersammlung bewahrt das
Museum flir Tierkunde in Dresden. Der Name
Thienemann ist aber auch in anderer Beziehung
nicht vergessen. Das Ornithologen Handbuch von
L. Gebhardt (1964) verzeichnet nicht weniger als 7
eng verwandte Vogelkundler dieses Namens, die
alle aus einer Dynastie mitteldeutscher Pfarrer
stammen. Der bedeutendste unter diesen Omitho-
logen war Johannes Thienemann, der bis 1938 die
Vogelwarte Rositten in Ostpreussen leitete, einer
der erfolgreichsten Erforscher des Vogelzuges.
Friedrich August Thienemann möchten wir als
einen vorbildlichen nichtislándischen Vertreter der
Islandforschung ansehen: ein griindlicher, klar
beobachtender Wissenschaftler, anspruchslos und
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