Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.2010, Page 75
Liebe und Durst
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2.2. Ungers Ausgabe
Unger druckt den Abschnitt iiber den Heiligen Bernhard auf den
Seiten 193—198 nach der Stockholmer Handschrift Holm perg 11 4W
mit Lesarten aus Holm perg 14to. Auf den Seiten 489—493 wird der
Text nach am 655 xxxii 4to mit Lesarten aus dem Fragment am 240 ix
fol, soweit dieses Fragment reicht, wiedergegeben. Auf diese Weise
kann leicht der Eindruck entstehen, als handle es sich hierbei um
zwei Versionen.29 Tatsachlich unterscheidet sich der Text in am 6jj
xxxii 4to nur so marginal von dem in Holm perg 11 4to, dafi es sich
verbietet, von zwei Versionen zu sprechen. Gleichwohl stehen beide
Handschriffen nicht in einem direkten kopialen Verhaltnis zueinan-
der.3° Zu diskutieren wåre, ob nicht Holm perg 1 4to eine eigenstan-
dige Version iiberliefert. Ich håbe jedenfalls im Zusammenhang mit
dem Marienleben dafur argumentiert, dafi in dieser und verwand-
ten Handschriften eine dritte Version des Marienlebens vorliegt, die
sich stofflich von der ersten und zweiten Version durch zahlreiche
Kiirzungen sowie einige Erweiterungsblocke unterscheidet, stilistisch
durch eine deutlichere Uberformung des Textes im florissanten Stil.
Hinsichtlich Kiirzungen gilt das auch flir den Text iiber Bernhard;
fiir substanzielle Erganzungen war in diesem Zusammenhang dage-
gen offensichtlich kein AnlaB bzw. Raum und auch stilistisch lassen
sich keine wesentlichen Unterschiede erkennen. Allerdings bietet der
29 Vgl. McGuire: “It should be noted that the section on Bernard is repeated later in
our old norse text. This second version is taken in part from other manuscripts, but
their content is very close to the initial text.” (1991, S. 207). Tatsachlich liegen hier
zwei sehr eng verwandte Texte vor. Es gibt aber keine einzige Mirakelhandschrift,
in denen der Abschnitt iiber Bernhard wiederholt wiirde. Dafi es in Ungers
Ausgabe einen zweiten Abschnitt iiber Bernhard gibt, ist einzig Ungers Konzep-
tionslosigkeit geschuldet. Die Wiederholung stellt auch keine zweite Version dar,
sie gehort vielmehr dergleichen Redaktion an wie der zuvor gedruckte Text. Der
zweite Text stammt vollstandig aus einer anderen Handschrift und nicht in Teilen.
30 Widding 1996, S. 18.