Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.2010, Side 85
Liebe und Durst
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bei sich, gerade genug fur eine Person. Sie gehen lange, doch will
9 keiner von ihnen der Hitze ihrer Liebe wegen trinken. Der Abt moch-
te, dab die Bruder das, was vorhanden ist, tranken, aber die Briider
quålt der Gedanke, dab der Abt nichts abbekåme. Hier endet es damit,
12 dab, als alle sich am Rande der Entkråftung befinden, der Abt seine
Briider bittet, sich niederzulassen und eine Weile zu rasten, wahrend
sie aus dem Flaschchen trinken. Er aber begibt sich weg von ihnen auf
15 eine Lichtung, demiitig auf seine Knie fallend zum Gebet. Und bald
darauf kommt iiber ihn ein grobes Licht. In diesem Licht erscheint
ihm die selige und gesegnete Konigin des Himmels, die herrliche
18 Gottesgebarerin, Magd und Mutter, die gnadigste Jungfrau Sankta
Maria. Sie ist iiberaus ffeundlich in der Fiirsorge gegeniiber Bern-
hard, ihrem Verehrer, so zu ihm sprechend mit Worten himmlischer
21 Slibe: “Mein lieber Bernhard! Ich håbe gesehen, welch schwere Hitze
die Zunge heute erduldet hat, die meinen Ruhm taglich gepriesen
hat. Komm daher zu mir, deiner Mutter, kostend von der Brust, von
24 der einst mein geliebter Sohn, der Herr Jesus Christus, der Konig
des Himmels und der Erloser der Schopfung trank.” Nach diesen
Worten entblobt die Gesegnete ihre erhabenste Brust, den Lippen
27 Bernhards entgegenstreckend. Und der allmachtige Gott gewahrt ihm,
einem sterblichen Menschen, so groben Mut, dab er seinen Mund
offnet, trinkend von der Brust der Frau wie ein Kind an seiner Mut-
3° ter. Wer vermochte mit Worten den Duft, die Slibe und die Hitze