Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.2010, Page 102
92
Wilhelm Heizmann
hard begegnen erst am Ende des 13. Jahrhunderts.67 In den fruhen
Bernhard-Viten findet sich keine Spur des Milchwunders68 und ebenso
wenig in Bernhards Schriften selbst, sieht man von vereinzelten Hin-
weisen auf Marias Milch bei der Schilderung ihrer Mutterrolle ab.69
67 Im dritten Buch des Dialogusmiraculorum (1225/27) des Caesarius von Heisterbach
komæt Abt Heinrich von Clairvaux (1176—1179) in den Genufi dieses Gnadenbe-
weises. Hier dient die Milch jedoch nicht mehr der Heilung, vielmehr verleiht sie
dem Abt eine solche Gelehrsamkeit, daB er spater die Kardinalswiirde empfångt
(Hilka (Hg.) 1937, Nr. 43, S. 164); vgl. Tubach 2198i, Nr. 5109, vgl. Nr. 772 (Breasts
of Virgin give wisdom to monk). Dieses Zeugnis als Beleg dafiir zu werten, dafi
die Milchlegende bereits im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts mit Clairvaux in
Zusammenhang gebracht wurde (Berlioz 1988, S. 279 f.; McGuire 1991, S. 199),
halte ich flir sehr gewagt. Die Legende schreibt Alfons Hilka namlich einer
zweiten Fassung zu, die nicht von Caesarius herriihrt. Die beiden iiberliefemden
Handschriften stammen aus dem 15. Jahrhundert (Xanten, Stiftsbibliothek H 31)
bzw. aus dem 16. Jahrhundert (Bonn, Universitåtsbibliothek S 361) (Hilka (Hg.)
1.937, S. 6ff., 129; Gattermann 1993, Bd. 2, Nr. 1483, S. 878 f., Bd. 1, Nr. 176,
S. 132 f.). Uber das Alter der Legende ist damit nichts gesagt. Da der Interpolator
fast wortwortlich aus der 50 Jahre jiingeren Legenda aurea abschreibt (Langosch
1978, Sp. 1159), kann die Fassung fruhestens nach 1273 entstanden sein.
68 Vgl. S. Bernardi Vita Prima, Liber vn (Fragmenta ex Herberto): In omnibus
S. Bernardi miraculorum libris nulla uspiam mentio de miraculoso illo lacte, a beatissima
Virgine in Bernardum expresso (Mabillon (Ed.) 1833, Sp. 465 f., Anm. 141); Durån
1953, S. 40; Wadell 1969, S. 58; Dupeux 1991, S. 165; Morsbach 1991, S. 703;
Schreiner 1994, S. 192.
69 So in der Predigt zum Sonntag in der Oktav von Maria Himmelfahrt (Dominica
infra Octavam Assumptionis), in der es heifit: Nihil austerum in ea, nihil terribile:
tota suavis est, omnibus offerens lac et lanam. ‘Nichts Strenges ist an ihr, nichts
Furchterregendes: ganz mild ist sie und bietet allen Milch und Wolle an.’ (Winkler
(Hg./Ubers.) 1997, S. 596/597); vgl. Dewez & van Iterson 1956, S. 165 f.; Marti
& Mondini 21994, S. 89, Anm. 8. Siehe auch Paffrath 1990, S. 202, Anm. 359 mit
Hinweis auf die Bernhardsche Predigt zum Fest Maria Himmelfahrt (In Assump-
tione Beatae Mariae). Allerdings ist dort nicht von Maria als ‘lactans’ die Rede, wie
Paffrath meint, sondern von den Kussen, die sie als Mutter ihrem Saugling auf
die Lippen druckte: Feliciaprorsus oscula labiis impressa lactentis ‘Ja, selig die Kusse,
die die Mutter auf die Lippen des Sauglings driickte’ (Winkler (Hg./Ubers.) 1997,
S. 530/531). Bernhards Hohelied-Kommentar, in dem man am ehesten fiindig zu