Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.2010, Blaðsíða 106
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Wilhelm Heizmann
denen Mystikern und Mystikerinnen beliebt.78 Es versteht sich dabei
geradezu von selbst, dafi die erstrebte innige Verbindung mit der Got-
tesmutter durch den direkten Kontakt mit Marias Brusten auf intimste
Weise zum Ausdruck gebracht wird.
Ein Vergleich mit der altislandischen Version der Legende zeigt
rasch, dafi diese iiberhaupt nicht ins bisher gezeichnete Bild pafit,
weder was den Inhalt betrifit, noch was die Datierung betriflt. Al-
lein die handschriftliche Uberlieferung reicht bis an den Beginn des
14. Jahrhunderts zuriick. Da es sich in keinem Fail um Originale
handelt, wird man unter Umstanden mit einer Entstehungszeit der
Legende in der Zeit um 1300 zu rechnen haben, also in etwa die Zeit
von Ci nous dit. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daft wir mit der
altislandischen Version der Bernhardlegende sogar das alteste litera-
rische Zeugnis der Lactatio des heiligen Bernhard iiberhaupt vor uns
haben, ein Zeugnis, dessen Inhalt zudem eine ganzlich eigenståndige
Version iiberliefert. Zunachst ist schon das setting ein anderes. Wah-
rend die Lactatio sonst in einem Raum, meist einer Kirche statt findet,
erscheint die Gottesmutter hier Bernhard unter freiem Himmel auf
einer Lichtung im Wald. Erst spater begegnet dieser offene Raum
selten auch in der Ikonographie.79 Primåres Ziel des Gnadenerweises
ist hier nicht die Krankenheilung oder die Verleihung von Wissen
und Redegewandtheit (auch wenn dieses Ziel im Anschlufi dann doch
noch genannt wird), sondern die Stillung rein physischen Dursts. Im
Umkreis der Bernhardlegenden ist mir diese eigentiimliche Kombi-
nation sonst nicht weiter bekannt. Zum Motiv der Waldeinsamkeit
ware aus jiingerer Zeit auf eine Legende hinzuweisen, die der franzo-
(pl 211, Sp. 743—754) und fugt daran seine Anmerkungen; Eich 1953, S. 141 ff.;
Dewez & van Iterson 1956, S. 168; Warner 1982, S. 236 £; Dupeux 1991, S. 170;
Slump 2000, Kap. 7.4.
78 Vgl. Eich 1953, S. 140 f.; Slump 2000, Kap. 7.2.
79Vgl. Durån 1953, Nr. xlvii (16. Jh.) mit einer Begegnung in offener Landschaft
oder lxv (17. Jh.) innerhalb eines Gartens.