Mitteilungen der Islandfreunde - 01.06.1932, Blaðsíða 13
geschiclite sollen zeigen, wo ein nordischer Kiinstler, der die urnordische Musik kennt,
a-uch Nordisches in der Kunstmusik zu finden meint. Der ,,seelische Inhalt" und
der Vortragsstil werden, wie gesagt, dabei ebenso im Auge behalten, wie der bloCe
Notenstil. Ist doch z. B. ein Beethovenscher Dreiklang von einem Schubertschen
meist verschieden. Z. B. hat auch Schönberg nie eine Selcund-Dissonanz geschrieben,
die sich an Scharfe und Wirkung mit den Sekund-Aufschreien in der Durchfuhrung
von Beethovens Eroica messen könnte.
Der erste uns bekannte musikalische Ausdruck des Nordens kommt also, wie er-
'vahnt, in der altnordischen bzw. islándischen Volksmusik zum Vorschein. Es sind
dies die mindestens tausend Jahre alten Skalden- und Tanz-Lieder, Quinten- und
Zwie-Gesánge, die manchem Leser nicht unbekannt sein werden und aus dem Geiste
l'eidnischen Wikingertums geboren sind. Als náchste Haupt-Etappe finden wir wohl
die Musik der Alt-Niederlánder aus dem 14. Jahrhundert, die unter dem Druck christ-
licher Dekadenz des Mittelalters úber eine gewisse nordische Grundfárbung nicht
hinauskommt. Die Lieder der Minnesánger wáren nach dieser Richtung hin forschens-
"fert. Ebenso könnte man Nordisches in der altenglischen Musik erwarten. Weitere
Hauptmerkmale nordischer Musik treten dann deutlicher bei Bach und Hándel in
Erscheinung. Es ist hier nicht der an auslándische Vorbilder angelehnte Notenstil
dieser Meister, sondern der ganze Geist der Musik, welcher das speziell Nordische
rnehr oder weniger andeutet. Dabei láBt sich gewiB ein merkliclier Kontrast im Wesen
beider Meister nicht verkennen. Der optimistische, helle und manchmal kúlile Hándel
úúd der nach innen gekehrte, wármere und demutsvollere J. S. Bach! — Ein Hándel-
scher und Bachscher Dreiklang haben wiederum verschiedenen seelischen Wert und
'verden daher von Musikern, die dies erfassen, verschieden „angeschlagen" werden.
So lange so etwas nicht ganz deutlich erkannt ist, sind Ausfúhrungen úber musikalisclie
Richtungen und Stile zwecklos. Gemeinsam ist fúr beide Meister die Reinheit und.
Lauterkeit der Gesinnung und Empfindung, die sich durchaus nicht mit der Koketterie
uufdringlicher Nuancen und Farben vertrágt, wie sie in der heute immer noch so
háufigen und oft durch die Prominenz geförderten romantischen und Wagnerschen
Interpretation zutage tritt, — nicht zu vergessen der MiBbrauch moderner Orgel-
register. Gerade bei den mehr nordisch eingestellten Komponisten ist eine Trennung
zwischen Mensch und Wrerk, Charakter und Kunst durchaus unmöglich. Sieh dir
die Komponisten und ihr Leben genauer an und du wirst oft schon daraus erkennen,
'velchen kunstlerischen Rang du ihnen zuteilen darfst!
Hie náchste nordische Einstellung finden wir bei Beethoven, der trotz aller Uni-
versalitát vielleicht der nordischste aller groBen Meister ist. Seine trotzige und eigen-
■willige Natur ist namentlich anfangs merklich durch Haydn und seine Tradition ge-
drúckt worden, so daB ein dauerndes Ringen dazu nötig war, die nordische Art bei
Beethoven stárker zum Durchbruch zu bringen. Vielleicht wurde er mit dieser Ab-
hángigkeit nie ganz fertig. Aber es lassen sich schon nordische Merkmale am Noten-
st‘l bei ihm festhalten: die eigenwilligen Akzente, auch das Zurtickhalten des Ge-
löhls (als verhaltene innerliche Steigerung), z. B. am Schlusse des Eroica-Trauer-
TOarsches. Offenbar hat das Leben in dem weicheren Wiener Milieu bei ilim Kontrast-
Spannungen ausgelöst, die zur Steigerung der nordischen Art gefuhrt haben, — wie
es öfters in áhnlichen Fállen vorgekommen ist. (Als stárkstes Beispiel drángt sich
einem der Gedanke an Christus in Israel auf.) Auch bei Beethoven ist die Inter-
Pretation heute noch in stilwidriger Weise verweichlicht und veráuBerlicht. Man
®Prelt meist nicht einmal das korrekte Notenbild, geschweige denn die zwischen den
’Oten liegenden Nuancen charaktervoller Zurtickhaltung.
Mit Beethoven ist der Weg des Nordischen in die Kunstmusik eigentlich erst merk-
jch eröffnet worden. Es folgen dann andere mehr oder weniger nordisch eingestellte
rvomponisten. Die verweichlichende Romantik war zwar kein guter Náhrboden fúr
<tle Auswirkung nordischer Charaktere in der Kunstmusik und die Merkmale sind
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