Mitteilungen der Islandfreunde - 01.06.1932, Blaðsíða 20
In der Tat ist von allen sichtbaren ÁuBerungen modernen islandischen Lebens die
bildende Kunst am weitesten einer Verwirklichung ilirer Aufgabe nahegekommen.
Sie gehört schon deswegen einer stadtischen Kultur an, als nur die gröflere Stadt
den bildenden Kiinstlern ein geniigend groBes Publikum stellen kann. So haben
denn auch erst in der Gegenwart die Islander ihre Begabung als Maler und Plastiker
recht erweisen können. Die groBe Lehrmeisterin der jungen Kunst ist die heimat-
liche Landschaft, die aber in durchaus unbauerlicher Weise angeschaut wird. Fiir
den Bauern — jenseits des Meeres wie auch bei uns — ist „schön" und „fruchtbar"
dasselbe. Er hangt am Lande als an einer Mutter, die ihn hervorbringt und ernahrt.
Fiir Gunnar von Hliöarendi in der Njálssaga sind es die gelblichen Ácker und ge-
mahten Wiesen, die ihn zur Umkehr nötigen. Nur selten finden wir im islandischen
Schrifttume eine losgelöstere Auffassung der Natur. So sind fúr den Maler seine
Fahrten zu Pferd in abgelegene und unbesiedelte Gegenden Islands wahre Entdeckungs-
reisen, und Landschaft, Menschen, Tiere seiner Heimat stellen ihm so reiche Aufgaben,
daB er bisher nur in ihrer Darstellung eine eigene Sprache zu sprechen gelernt hat.
Stellt er sich gelegentlich andere Aufgaben, so redet er unbedenklich deutsch oder
französisch.
Ein eigenes modernes Kunstgewerbe ist seit wenig langer als einem Jahre iffl
Entstehen. Ihm fallt die wichtige Aufgabe zu, im kleinen zur Geschmackserziehung
beizutragen und die Furchtbarkeiten zu verdrángen, die sich bis jetzt in vielen Laden
breit machen. (Untersucht man úbrigens diese Scheusel genauer, so wird man auf
den meisten ein „made in Germany“ vorfinden.)
Eine áhnlich junge Kunst wie die bildende ist die darstellende. Dramatik und
Schauspielkunst ist ja auch mit stádtischem Leben notwendig verknúpft. In ihr
waltet heute schon eine gewisse Tradition. Man kann z. B. sagen, daB die in Kopen-
hagen spielende junge Islánderin Anna Borg einer Reykjavíker Schauspielerfamilie
angehört: so etwas gibt es also schon. Ich habe in Reykjavík Auffúhrungen gesehen,
die úber dem Durchschnitt einer deutschen Mittelstadt lagen. Das Jahresprogramrn
war sehr vielseitig: Ich sah in den zwei Wintern zwei deutsche Belanglosigkeiten
Arnold- und Bachschen Fabrikats, ein modernes amerikanisches „Problem“-Stúck,
zwei Werke Einars Kvaran, dann aber Georg Kaisers „Oktobertag" und die pracht-
volle Auffúhrung des „Eyvind vom Berge" von Jóhann Sigurjónsson. Das Spiel
in Reykjavík ist oft sehr eindrucksvoll, zuweilen allerdings fast zu pointiert, man
merkt Absicht und erkennt das Vorbild des Films. Was mich regelmáBig störte, war
der Verzicht auf Schönheit der Sprache. Die Verwilderung des Sprachklanges ist nun
etwas, das nicht allein den Schauspielern vorzuwerfen ist. Búhne wie Hochschule
haben da bisher eine wichtige Aufgabe versáumt. Die volkstúmliche Oberlieferung
bot fúr das Vortragen von Dichtungen nur die Möglichkeit des halb-singenden „kveða"-
Gedichten gegenúber, die diese Möglichkeit nicht boten — dazu gehören z. B. alle
Gedichte eddischen MaBes — verhielt man sich lesend oder sprach sie wie Prosa.
(Island hat ja auBergewöhnlich frúh schon ein ausgesprochenes und allgemeines Buch-
Schrifttum gehabt.) Den meisten fehlt jeder Instinkt fúr den Klang von Sprache und
Vers. In deutschen Proseminaren habe ich nie so verwilderte Eddaverse gehört wie
in Reykjavík. Heutige Dichtung fordert diesen Klangsinn, die moderne islandische
Lyrik setzt ihn eigentlich voraus; in der Erziehung dazu liegen wichtige und nocb
ungelöste Aufgaben.
Am weitesten zurúck ist auf Island die Musik. Sie kann sich nur grtinden auf eine
ausgebildete praktische Ausúbung. Deren gröBter Feind scheint mir leider die Schall'
platte zu sein. Sie entmutigt durch ihre technische Vollkommenheit den Anfánger,
und — was weit schlimmer ist — sie verfúhrt den, der sich fortgeschrittener zu sein
wáhnt, zu eitler Nachahmung. Es wird nie gelingen, eine nationale islándische Musik
aufzubauen auf dem Ideal des Philadelphia-Sinfonieorchesters, das augenblicklich
das Land beherrscht. Man wird sich bescheiden mússen. Der Weg, den Jón Leifs
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