Mitteilungen der Islandfreunde - 01.06.1932, Qupperneq 30
zum Fangen und Töten des Haifisches, deren einige wie Waffen aus dem Alterturo
aussehen, eine Walfisch-, eine Haifisch- und mehrere Seehundsharpunen, alles Fang-
geráte, die seit den goer Jahren nicht mehr oder nur selten gebraucht werden, ein
Packsattel mit Polstern aus Rasensoden, eine Anzahl auf der alten Drehbank ge-
drechselte GefaBe und alte Schlittschuhe aus Knochen.
Die Sammlung umfaCt 415 Nummern, unter denen aber viele Dubletten und wohl
auch manches wertlose Stiick ist. Ausgestellt ist davon in Hamburg nur eine kleine
Auswahl. Als ich sie zum ersten Male sah — bei ihrer Zusammenstellung war ich nicbt
zugegen — war ich iiber ihre Geschlossenheit und Eindruckskraft erstaunt. Obwohl
die meisten Stticke einfache und schmucklose Gebrauchsgegenstande des taglichen
Lebens sind, erkennt man doch, daB es die Erzeugnisse eines geistig sehr hochstehenden
Volkes von einer ganz eigenen Kultur sind. Mögen viele einzelne Teile primitiv scheinen,
das Ganze ist weit davon entfernt, es zu sein. Solange ich immer nur das einzelne
Stiick sah, hatte ich dies nicht vorausgesehen. Unter den vielen bunten und reichen
Sammlungen aus Liindern aller Erdteile, die ringsumher stehen, scheint die isl&ndische
Sammlung natijrlich arm und gering, weil das Land arm und seine Natur rauh ist und
die Schicksale des Volkes hart waren. Trotzdem zeugt die Sammlung von einer hohen
Kultur.
Zwischen einem niedrigen grasgedeckten islándischen Hofe und einem Hofe in den
reicheren Teilen Nordwestdeutschlands, im Schwarzwald oder Zillertal ist ein ge-
waltiger Unterschied. Aber wer Island kennt, weifi, das die Kultur des Geistes und
Herzens dort nicht im geringsten hinter der der Bewohner jener reichen deutschen
Höfe zurucksteht. Dies ist es, was auch die Hamburger Sammlung trotz ihrer Un-
scheinbarkeit erkennen laBt und was ihr einen ganz eigenen Charakter gibt.
Darum sollten die Islander ihre untergehende alte iiuBere Kultur nicht verachten.
Leider tun dies viele, und manchen habe ich sogar gesehen, der sich ihrer schamte und
den es kránkte, daB diese Sammlung ins Ausland ging.
Im allgemeinen aber wurden mir die Sachen gern iiberlassen, sehr oft ohne Entgelt,
sonst meist fiir ein geringes. Teuer waren nur die wenigen Gegenstánde, die einen
Liebhaberwert bekommen haben. In allen Landschaften, in die ich kam, habe ich
bei der Bevölkerung groBes Verstándnis und die gewohnte islándische Hilfsbereit-
schaft gefunden, die sich von keinem noch so langen Fragen ermiiden lieB. Ohne sie
wáre mir die Durchfiihrung meiner Arbeit nicht möglich gewesen. Der islándischen
Landbevölkerung gebiihrt darum herzlichster Dank.
GroBen Dank schulde ich auch dem Leiter des Reykjavíker Museums, Matthías
Þórðarson. Er hat mir durch sachkundige Ratschláge und freundliches Entgegen-
kommen die schwierige Arbeit sehr erleichtcrt.
Nun noch etwas uber die Bedeutung der Sammlung. Sie ist bisher die einzige
gröBere islándische Sammlung auBerhalb Islands und die einzige islándische, die allen
Gebieten der Volkskunde gleiches Recht gibt, die nicht das Alltágliche um des Sel-
tenen willen vernachlássigt. Obwohl sie groBe Lucken hat, ist sie imstande, ein gutes
Bild der materiellen Kultur Islands vor dem Beginn der letzten Uberfremdung zu
geben. Diese Kultur aber stand derjenigen der Sagazeit in vielen Dingen noch iiber-
raschend nahe, so daB ihre Kenntnis das Verstándnis jener fur uns so wichtigen Zeit
sehr erleichtert. In den letzten 50 Jahren hat sich in Island zehnmal mehr gewandelt
als in den 800 vorausliegenden. Geándert hat sich natflrlich auch in dieser Zeit man-
ches, und auch in ihr hat es Einflflsse aus dem Auslande gegeben. Die Drechslerei,
der Spinnrocken und einige kunstvollere Formen des Webens sind ins Land gekommen1,
1 Die Namen der auf der alten Drehbank am háufigsten hergestellten GefáBe — diskur,
kúpa, tarína — sind fremd und zeigen, daB dies Handwerk nicht altheimisch ist.
Ebenso sind fremd die Namen zweier Arten bunter Gewebe: brekan oder brekán
und salún.
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