Milli mála - 01.01.2013, Side 113
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Teil in Tagebuch- oder Briefform geschrieben, während der andere
in Form einer Abhandlung verfasst ist. Diese Abhandlung erhält
dann vorzugsweise einen Titel wie „Allgemeine Betrachtungen“.
Nach Brilli zieht sich dieses Schema durch das gesamte Jahrhundert
und gipfelt in den minutiösen Führern, „in denen sich, ist der
Rundweg durch die Stadt, die Region oder das Land erst erschöp-
fend behandelt, immer wieder die gleichen Hinweise auf allgemei-
ne Charakteristika des Ortes, seine Einwohner, seine auffälligen
Sitten und Gebräuche finden“ (Brilli 1997: 46).
Das Verhältnis und die Anordnung der beiden Teile variiert je
nachdem, an welches Publikum sich ein Buch richtet, aber auch
danach, welchen Bildungs- oder Kenntnisstand ein Autor hat. Im
Laufe des Jahrhunderts verschob sich die Gewichtung jedoch immer
mehr vom wissenschaftlichen hin zum Ereignisteil, bis am Ende des
18. Jahrhunderts dieser den Hauptteil eines Reiseberichtes aus-
machte. Zumal sich Reiseberichte nicht mehr nur an ein speziali-
siertes Publikum richteten, wurde auf die Gelehrtensprache verzich-
tet. Prinzipiell waren sie nun jedem, der lesen konnte und Gelegenheit
hatte, zugänglich. Andererseits konnte auch jeder, der nicht über
eine gehobene Bildung verfügte, aber auf Reisen ging, darüber
schreiben und seinen Bericht unter Umständen veröffentlichen.
6. „Aus einem Brief aus Island“:
ein Reisebericht in Briefform
Wie bereits erwähnt war der „Brief aus Island“ das erste Werk, das
Tómas Sæmundsson nach seiner Heimkehr in Angriff nahm. Den
Brief kann man leicht dem Reisebericht als Gattung zuordnen. Er
berichtet genau genommen von zwei authentischen Reisen oder
Reiseetappen, zunächst von der Schiffspassage von Kopenhagen
nach Reykjavík und dann von der Reise von Reykjavík in den
Norden des Landes.
Trotz des Titels ist davon auszugehen, dass es sich nicht etwa um
einen abgedruckten Originalbrief handelt, sondern zumindest um
eine für die Veröffentlichung bestimmte Bearbeitung, wenn nicht
sogar − und das ist m. E. die wahrscheinlichere Annahme − um
MARION LERNER