Milli mála - 01.01.2013, Page 120
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liegen. Im Grunde konnte er gar nicht richtig angekommen sein,
solange er nicht sein Heim in Breiðabólsstaður bezogen und sein
Amt angetreten hatte.
Man kann sich leicht die große Fremdheit vorstellen, die den
Heimkehrer in diesen Wochen und Monaten in Island umfangen,
und die Distanz, die er empfunden haben muss, auch wenn derglei-
chen nirgends direkt angesprochen wird. Das, was er vorfand und
beschreiben wollte, maß er unwillkürlich an dem, was er in den
vorangegangenen Jahren gesehen, gelernt und erlebt hatte. Und
diese Erfahrung unterschied ihn grundsätzlich von seinen Lands-
leuten und Altersgenossen. Nichtsdestoweniger empfand er es als
seine Verpflichtung, seine Erfahrungen und Erkenntnisse mitzutei-
len und in einen Dialog mit seinen Lesern zu treten. Im Text spricht
er diese Pflicht an:
Es ist großer Achtung wert, wenn der Gelehrte der Allgemeinheit seine
Beobachtungen kundtut, und doch noch viel mehr, wenn diejenigen das-
selbe tun, die dem Bücherstudium ferner stehen, z. B. wenn der Beamte
hierzu seine Freizeit aufwendet oder der begabte Bauer die Abendstunden
der dunklen Jahreszeit.19
Im Grunde lesen sich diese Sätze wie ein Programm für die komm-
enden Jahre, in denen Tómas Sæmundsson versuchen wird, allen
Pflichten gerecht zu werden: denen als Pfarrer, Probst, Bauer,
Familien vater und Gelehrter.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Wahl der Themen
im „Brief aus Island“ dem Kanon des aufklärerischen Reiseberichtes
entspricht: Darstellung der physischen (geografischen) Gegebenheiten,
Diskussion des gesellschaftlichen Ent wicklungs standes, der vorran-
gigen Erwerbszweige, der wirtschaftlichen Situation, des Bildungs-
standes und Charakters der Einwohner, eine Beschreibung der Stadt
(die im Falle von Reykjavík erst in Ansätzen erkennbar ist) mit ihren
Straßenführungen, Häusern, gut oder schlecht gelungenen Neu-
bauten, ihrem Kulturleben, den Sitten und Unsitten etc. Um so
19 TS 1835: 82. „Það er mikillar virðíngar vert þegar hinn lærði gjörir almenningi kunnar athuganir
sínar, og þó enn meír, ef þeír gera sama, sem standa fjær bókyðnum, t. d. þegar embættismaðurinn
ver til þess tómstundum sínum, og hinn gáfaði bóndamaður skamdegis vökunni.“
„AUS EINEM BRIEF AUS ISLAND“