Gripla - 01.01.1990, Page 166
162
GRIPLA
Ólafsson diese Regel ganz konsequent einhált, darf man annehmen,
daB seine Melodie diese rhythmische Gestalt vorschrieb; Berggreens
Version, die dies nicht tut, mu8 also zumindest in diesem Punkt von
der Melodie, wie Jón Ólafsson sie kannte, abweichen.
16. Fiir die beiden Abschnitte von Gedicht (II), die mit ‘Aria’ iiber-
schrieben sind, lassen sich keine bestimmten Melodien finden. Es han-
delt sich um Texte mit komplizierten Endreimschemata und verschie-
den langen Zeilen.
Auch fur den Abschnitt von Gedicht (IV), der den Vermerk ‘med
Cantillions Lage.’ trágt, láBt sich keine bestimmte Melodie ausfindig
machen. ‘Cantillion’ muB den Tanz Kotillon meinen, der sich ab dem
17. Jhdt. von Frankreich kommend in Europa verbreitete und bis in
unser Jahrhundert hinein getanzt wurde. Das alternierend jambische
Metrum von Jón Ólafssons Text paBt gut zum Rhythmus dieses Tanz-
typus, kann jedoch keiner der vielen verschiedenen, zu diesem Tanz
verwendeten Melodien - soweit sie mir bekannt sind - eindeutig zuge-
ordnet werden.
17. Die beiden Melodien, die zum Gedicht (III) angegeben sind, las-
sen sich dagegen sicher identifizieren.
‘Heidr og haa-leit æra’ ist der Anfang eines Kirchenliedes (‘Morgun
Psalmur’), dessen Text erstmals im islándischen Gesangbuch von 1742,
in dem keine Melodien abgedruckt sind, auftaucht.26 Die Melodie-
angabe lautet dort: ‘Med Ton: Oss maa Auma kalla.’
Dieses Kirchenlied ‘Oss má auma kalla’ findet sich bereits im islán-
dischen Gesangbuch von 1589, und zwar als Variante (‘Same Psalmur
med pdrum hætte’) des unmittelbar vorausgehenden Kirchenliedes ‘Ó
vér syndum setnir’.27 Die hierzu abgedruckte Melodie geht auf den
vorreformatorischen Karfreitagsgesang ‘Laus tibi Christe’ zuruck und
wurde in Deutschland u.a. zu dem Text ‘Ach wir armen Súnder’ ge-
sungen.28 In Hans Thomisspns dánischem Gesangbuch von 1569 ist
26 Siehe Páll Eggert Ólason, Upptök sálma og sálmalaga í lútherskum sið á íslandi
(Fylgirit Árbókar Háskóla íslands 1923-24), Reykjavík 1924, S. 218. - Ein Ny Psalma
Book Isslendsk .... Kopenhagen 1742, S. 535-536.
27 Ein ny Psalma Bok . . ., Hólar 1589, Bl. cxxxi-cxxxii.
28 Siehe Gottlieb Frh. von Tucher, Schatz des evangelischen Kirchengesangs I, Leip-
zig 1848, S. 57-58 und 408, 254 und 420-421, sowie 479.