Gripla - 01.01.1990, Side 169
VIER GEDICHTE FUR EINE HOCHZEIT IM JAHRE 1738 165
verfaBt worden seien. DaB mit einem dieser Gedichte der stilisierte
Baum von Gedicht (IV) gemeint ist, liegt auf der Hand, doch wo sind
die beiden anderen Báume, der Becher und das Herz? So wie die Ge-
dichte (II-IV) in den Handschriften Lbs 202 fol. und ÍB 230 4to uber-
liefert sind, lassen sich keine weiteren Teile als Figurgedichte erken-
nen. Vermutlich könnte man die Arien von Gedicht (II) und das Vo-
tum von Gedicht (III) mit etwas gutem Willen in eine Becher- oder
Herzform zwángen, kaum aber in die Form eines Baumes.
Ob es tatsáchlich noch weitere Gedichte - von Jón oder seinem Bru-
der Erlendur oder einem anderen Islánder in Kopenhagen - fur die
Hochzeit von 1738 gegeben hat, oder ob die Figurgedichte, die Jón er-
wáhnt, ursprtinglich zu den erhaltenen Hochzeitsgedichten gehört
hatten, aber sich aus irgendwelchen Grtinden nicht mit den tibrigen
Teilen erhalten haben, wissen wir nicht.
19. Auch die Verschltisselung des Namens des Autors am SchluB der
Dedikationen der Gedichte (II-IV) und die Anspielungen auf die Na-
men der Brautleute in den Hauptteilen von Gedicht (III) und (IV)
(siehe unten) mtissen wohl im Zusammenhang mit solchen, in der ba-
rocken Dichtung gángigen Spielereien gesehen werden; sie alle waren
Jón Ólafsson bestens vertraut, wie sein ‘Capitule umm Technopægnia’
in AM 1028 4to beweist:
§ 2. Þær almennustu greiner slijkra Technopægniorum, nefnast
Eteosticha, og Acrosticha, og Carmina palindroma, concordan-
tia, relativa, og æqvidica, Einnen figurata, og versus Protei og
qvadrati, og so þau sem af sinu slage kallast Anagrammata, Lo-
gogryphi, Echones og Centones. . . .
Andererseits gab es aber auch in der islándischen Literatur eine
lange und ungebrochene Tradition der Verschltisselung von Namen,
die zu Lebzeiten Jón Ólafssons vor allem in der Rímurdichtung ge-
pflegt wurde.34
Inhaltlich sind die drei Gedichte (II-IV) parallel aufgebaut. Nur die
Dedikationen machen konkrete Angaben zu den Brautleuten und der
Hochzeit; die SchluBteile erflehen Gottes Segen ftir das Brautpaar.
34 Siehe Páll Eggert Ólason, ‘Fólgin nöfn í rímum’, in: Skírnir 1915, S. 118-32.